Meinung: "Kommunalisierung statt Markt – Rheinland-Pfalz legt sich für künftigen Nahverkehr fest"

Zentralisierung auf Landesebene, Entmündigung der Kommunen und Ausschluss der Verkehrsunternehmen: Eine ordnungspolitische Betrachtung zum neuen Nahverkehrsgesetz in Rheinland-Pfalz.

von Rüdiger Sterzenbach

Rheinland-Pfalz hat ein neues Nahverkehrsgesetz. Der zuständige Verkehrsminister bezeichnet dieses Gesetz als „Quantensprung für den Nahverkehr“. Tatsächlich verstärkt dieses Gesetz jedoch die Monopolisierung im öffentlichen Nahverkehr, entmündigt durch Zentralisierung die Kommunen und schließt die Verkehrsunternehmen mit ihrem Wissen in der Entscheidungsfindung faktisch aus. Der Minister beschleunigt die Kommunalisierung bisher unternehmerischer Verkehrsdienstleistungen durch eine öffentliche Produktion. Mögliche wettbewerbliche Ausgestaltungen von Bundesgesetzen werden augenscheinlich nicht in Erwägung gezogen oder ungeprüft gelassen.

Wie die Demokratie kommt die Soziale Marktwirtschaft nicht ohne den Wettbewerb aus. Er ist das Fundament für eine freiheitlich-liberale und handlungsfähige Wirtschaft in einem demokratischen Staat. So begreift auch der rheinland-pfälzische Verkehrsminister in seiner Funktion als Generalsekretär einer freiheitlichen Partei den Wettbewerb als Grundelement der Sozialen Marktwirtschaft. In den Unterlagen seiner Partei ist dazu u.a. zu lesen: „Die Soziale Marktwirtschaft sorgt durch Wettbewerb für Wohlstand und Innovation. Diese Grundsätze haben nichts an Modernität verloren“. Es liegt nahe und so sollte man meinen, dass der Generalsekretär - auf Basis des Parteiprogramms – eine unternehmerische Leistungsersterstellung insbesondere nur denjenigen überlassen will, die sich im Wettbewerb als erfolgreich erwiesen haben.

Wer nun davon ausgeht, der Generalsekretär beachte in seiner Funktion als Verkehrsminister in Rheinland-Pfalz diesen Grundsatz auch in der jüngst verabschiedeten Novelle des Nahverkehrsgesetzes, der irrt. Es fehlt dem Nahverkehrsgesetz eine klare ordnungspolitische Grundorientierung, die auch einen Handlungsrahmen für den Wettbewerb vorgibt. Es verfestigt sich damit der Eindruck, dass trotz öffentlicher Bezugnahme auf die Soziale Marktwirtschaft ihre Prinzipien für die Erstellung der Novelle des Nahverkehrsgesetzes bei dem Minister keine vordringliche Rolle gespielt haben. Der Verkehrsminister wirft alle ordnungspolitischen Prinzipien der Sozialen Marktwirtschaft über Bord und fördert mit der Novelle des Nahverkehrsgesetzes insbesondere eine Zentralisierung der Entscheidungen auf Landesebene. Kommunen und insbesondere private Verkehrsunternehmen werden weitestgehend in die Rolle von Befehlsempfängern gedrängt.

Im geltenden Recht ruht der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV) mit Bussen und Straßenbahnen besonders auf den Schultern der Landkreise und kreisfreien Städte. Sie sind die Aufgabenträger, denen der ÖPNV als Aufgabe der freien Selbstverwaltung auferlegt ist. Sie organisieren mit ihren Nahverkehrsplänen den Nahverkehr, der grundsätzlich von Verkehrsunternehmen durchgeführt wird. Diese erwirtschaften ihre Aufwendungen selbst, auch wenn sie für einen auskömmlichen Verkehr auf die Unterstützung aus öffentlichen Haushalten angewiesen sind. Die Verkehrsunternehmen werden aber auch schon in die Verkehrsplanung und -gestaltung einbezogen. In Rheinland-Pfalz wirken Zweckverbände und ein Landesbetrieb Mobilität zudem insbesondere beratend und koordinierend mit.

"Das neue Nahverkehrsgesetz stellt die bisherige Ordnung auf den Kopf."

Das neue Nahverkehrsgesetz stellt die bisherige Ordnung auf den Kopf. Es schafft für den Personennahverkehr eine Struktur, die zentralistisch vom Land ausgeht und die die bereits
bestehende Tendenz zur Monopolisierung des Marktes noch verstärkt. Wie die Erfahrung mit öffentlichen Monopolen zeigt, ist es oft nur schwer erkennbar, wer letztendlich von der Verwendung der Steuermittel profitiert.

Konkret ist es zukünftig das Land, das einen detaillierten Landesnahverkehrsplan in Zusammenarbeit mit zwei zu schaffenden Pflichtverbünden (Zweckverbände Nord und Süd) erstellt. Dabei hat sich das Land in den Entscheidungsgremien mit 40% den größten Anteil der Stimmen gesichert und zudem faktisch in besonders wichtigen Fragen ein Vetorecht. An die Zweckverbände sind je zwei Regionalausschüsse angeschlossen, in denen die Kreise und kreisfreien Städte zusammengefasst sind. Die Kommunen bleiben weitestgehend nur noch formal Aufgabenträger des öffentlichen Personennahverkehrs, sie haben diese Aufgabe aber nicht mehr als Aufgabe der freien Selbstverwaltung, sondern als Pflichtaufgabe inne. Schließlich nimmt die Novelle des Nahverkehrsgesetzes den Kommunen und Verkehrsunternehmen auch die Gestaltung der Verbundtarife, den Vertrieb, die Einnahmenaufteilung und die Verkehrsplanung und weist sie den Regionalausschüssen zu. Für die Kommunen bleibt nahezu ausschließlich nur noch die Ausfüllung der vorgegebenen Planung, wie es das Nahverkehrsgesetz selbst feststellt. Für die Verkehrsunternehmen - die nur noch rudimentär im Gesetzestext erwähnt werden -, bleibt das Recht, zweimal im Jahr „gehört“ zu werden. Die bisher bestehende Möglichkeit zur Einbringung eigener Ideen und Innovationen ist ihnen damit faktisch nicht zugedacht und eher auch unmöglich. Die Unternehmen werden noch stärker zu Lohnkutschern in einer staatlichen Angebotsplanung degradiert.

Es liegt der Schluss nahe, dass die hier tätig gewordenen Entscheider und Planer annehmen, besser als private Marktteilnehmer erkennen zu können, wie der öffentliche Nahverkehr auf der Straße vorangebracht werden kann und damit richtungsweisend für die angestrebte Mobilitätswende und einen besseren Klimaschutz sein könnte. Es kann zudem hinterfragt werden, warum der Minister die Leistungen der Verbünde von den Vorteilen des Wettbewerbs völlig ausnimmt und nicht regelmäßige Ausschreibungen der Leistungen durch z. B. einen Planungswettbewerb vorgibt. Ein auszulobender Planungswettbewerb - ähnlich dem bekannten Architekturwettbewerb (auch Architektenwettbewerb genannt) - ist besonders geeignet für den ÖPNV-Planungsbereich, da er Kreativität, Wirtschaftlichkeit sowie Umwelt- und Sozialverträglichkeit gleichermaßen fördern kann. In den Verbünden selbst fielen zusätzlich nur die Personalkosten für ein bis zwei Planungsmanager an. Stattdessen nehmen die Verbünde auch in Zukunft diese zentrale Aufgabe zu großen Teilen selbst wahr, ohne dass die Potenziale des Wettbewerbs genutzt werden. Bestehende Mängel in der Effizienz und der Kundennähe bleiben damit weitgehend unangetastet und es wird versäumt, öffentliche Mittel wirtschaftlicher und nutzenstiftender einzusetzen. Betrachtet man die bisherige Personalentwicklung und den Ressourcenverbrauch in den Verbünden, wird man sich jedoch darauf einstellen müssen, dass die Zentralisierung im ÖPNV für den Ressourcenverbrauch nichts Gutes erahnen lässt.

Wenn man wirklich die Mobilitätswende voranbringen will, müssen auch in Rheinland-Pfalz im Besonderen Ineffizienzen im öffentlichen Personennahverkehr auf der Straße durch Öffnung der Märkte, also durch Wettbewerb, beseitigt werden. Wenn jedoch der Minister auf eine stärkere Zentralisierung, größere und weniger überschaubare Verwaltungseinheiten setzt und zudem darauf verzichtet, das Innovationspotential der Unternehmen zu nutzen, ist dies eher schädlich für den ÖPNV. Im Nahverkehrsgesetz – so ist der Eindruck - wird es versäumt oder bewusst unterlassen, sich der Beseitigung des größten Hemmnisses für eine positive Entwicklung der zukunftsfähigen Mobilität zuzuwenden und entsprechende Schritte auszuloten bzw. sogar zu gehen. Der Ausschluss von Wettbewerb durch die Direktvergabe von Nahverkehrsleistungen an kommunale Betriebe bleibt unangetastet, sodass der aktuell in Rheinland-Pfalz zu beobachtende Trend einer zunehmenden Verstaatlichung des Verkehrs nicht gebremst wird. Diese Aussage hat selbst unter Berücksichtigung des Umstandes, dass im Einzelfall durch das Personenbeförderungsgesetz (PBefG), also ein Bundesgesetz, enge Grenzen spürbar sind, ihre Berechtigung. Andere Bundesländer haben in der Vergangenheit gezeigt, dass eine Ausgestaltung des Bundesgesetzes landesspezifisch machbar ist. Zudem ist nicht erkennbar, dass sich der Minister bei den momentanen Beratungen auf Bundesebene zur Novellierung des PBefG für mehr Wettbewerb einsetzt.

Generell hat der Gesetzgeber mit der sogenannten Direktvergabe (eine Gebietskörperschaft führt den Verkehr selbst durch) kommunalen Eigentümern die Möglichkeit eröffnet, sich nicht im Wettbewerb bewähren zu müssen, sich dem Wettbewerb zu entziehen. Direktvergaben - und damit das Aushebeln der Grundvoraussetzung für eine zukunftsgerichtete und bessere Mobilität durch Wettbewerb -, widersprechen dem Demokratieprinzip. Sie führen in die Nähe geschlossener Gesellschaften mit starren Strukturen, schüren Angst vor Veränderung und lassen einen offenen Diskurs vermissen. Begünstigte von Direktvergaben, ausgestattet mit steuerlichen Privilegien, verdrängen den privaten Wettbewerb. Dieser (Neo-)Protektionismus wird gerne verharmlosend als (Re-)Kommunalisierung und/oder „Renaissance der öffentlichen Wirtschaft“ bezeichnet. Als ausgesprochen bedenklich ist diese Entwicklung besonders dann anzusehen, wenn zum Beispiel der Wegfall bislang eigenwirtschaftlicher Angebote, also solcher Verkehre, die ohne kommunale Zuschüsse auskommen, von einer Landrätin zum Anlass genommen wird, einen eigenen Verkehrsbetrieb aufzubauen und dies sogar noch mit dem Satz „Damit wurde uns die Tür zur Kommunalisierung geöffnet“ zu bejubeln. Ein Satz, der zwar den Grundwerten ihrer Partei widerspricht, aber beispielsweise bei den Lesern des “Neuen Deutschland” sicherlich große Freude hervorruft. Die Landrätin unterschlägt dabei die in unserer Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung naheliegendste Möglichkeit der Ausschreibung der Leistungen und die Vergabe im Wettbewerb. Sie befindet sich jedoch dabei in “guter Gesellschaft” von nicht wenigen Parteifreunden/innen. Natürlich geben eigene Betriebe eine größere mediale Aufmerksamkeit. Wie die Geschichte jedoch zeigt, sind, im Vergleich zu Unternehmen im privaten Eigentum, staatliche Betriebe - auch infolge geringerer Gestaltungsmöglichkeiten als in der Privatwirtschaft - in der Regel weniger effizient und haben eine geringere Produktivität. Sie produzieren eher nicht kostengünstig und werden den Wünschen der Nachfrager und dem Zweck dem sie dienen sollen, vielfältig nur in eingeschränktem Maße gerecht. Sie sind zudem in der Regel in ihrem Handeln nicht sozialer oder umweltgerechter. Dieser grundlegenden Verschwendung knapper Ressourcen ist im ÖPNV ein Ende zu bereiten. Dies umso mehr, da - wie die Geschichte zeigt - staatliche Betriebe schnell zum Haushaltsrisiko werden können.

Diese Aussagen sind keine Personen-, sondern eine Systemfrage. Das nunmehr für jedermann zugängliche Portal www.oepnv-transparenzregister.de liefert für die Öffentlichkeit belastbare Daten. Der Staat sollte insbesondere nur dort tätig werden, wo ein Marktversagen zu konstatieren ist. Die Politik ignoriert bewusst oder in Unkenntnis, dass es sich beim öffentlichen Nahverkehr um kein öffentliches Gut handelt und bei diesem keine zwingende Notwendigkeit besteht, durch die öffentliche Hand zu produzieren. Direktvergaben widersprechen dem Demokratieprinzip, den Grundprinzipien der Sozialen Marktwirtschaft und schaffen durch Ausschaltung des Wettbewerbs Privilegien zu Lasten der Steuerzahler und damit der Allgemeinheit. Privilegien von denen die Mitarbeiter/innen in privaten - und nicht öffentlich zu Lasten der Steuerzahler alimentierten Unternehmen - in der Regel nur träumen können. Mitunter lässt sich auch beobachten, dass gut dotierte Aufsichtsgremien und Leitungsfunktionen öffentlicher Unternehme mit verdienstvollen Politikern aller Couleur besetzt werden, die erforderliche Sachkompetenz lässt sich dabei nicht durchgehend erkennen.

Zum Schluss ist ausdrücklich festzuhalten und hervorzuheben, dass es ausschließlich der demokratischen Politik zusteht, den Ordnungsrahmen zu gestalten. Dabei ist auch und insbesondere auf kommunaler Ebene die Schaffung, Erhaltung und Sicherung eines funktionsfähigen, diskriminierungsfreien Wettbewerbs von großer Bedeutung, um einen attraktiven öffentlichen Nahverkehrs mit hohen Sozial- und Umweltstandards zu ermöglichen und zu gestalten. Dabei sollte - und dies ist besonders hervorzuheben - das Erbringen der Nahverkehrsleistungen - also die Produktion - denjenigen überlassen werden, die dies am besten können, den Unternehmen, die „sich in einem diskriminierungsfreien und funktionsfähigen Wettbewerb“ hervorgetan haben. Der Schienenpersonennahverkehr geht hier seit Jahren - zumindest was die Ausschreibungen betrifft, die allerdings auch immer noch weitestgehend auf das reine Fahren beschränkt sind - mit gutem Beispiel voran, wenngleich auch hier noch erhebliches Potenzial für Privatisierungen besteht. Eine nahezu sprunghaft gestiegene Nachfrage nach Nahverkehrsleistungen auf der Schiene - einhergehend mit einer gleichzeitig erheblichen Senkung der Kosten - zeigen das große Innovationspotential des Wettbewerbs im Nahverkehr.


Zum Autor

Prof. Dr. Rüdiger Sterzenbach war von 1977 bis 2012 Professor für VWL und Verkehrsbetriebswirtschaft des Personenverkehrs an der Hochschule Heilbronn sowie Begründer des Studiengangs Verkehrsbetriebswirtschaft und Personenverkehr. Sterzenbach ist ehemaliger Gesellschafter eines großen privaten Verkehrsunternehmens und Mitbegründer eines gemeinnützigen Unternehmens zur Integration Schwerstbehinderter. Er ist Autor mehrerer Bücher und wurde vielfach hochrangig ausgezeichnet. Sterzenbach ist ein Vertreter Erhard´scher Wirtschaftspolitik auf der Grundlage der Sozialen Marktwirtschaft und ordoliberaler Grundprinzipien.

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Meinung Redaktion Bus&Bahn
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