„Allgemeine Vorschrift bei Verbundtarif nicht zwingend“

Der Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit verpflichtet die Aufgabenträger zum Erlass einer Allgemeinen Vorschrift, wenn sie einen Verbundtarif vorgeben. Alternativ steht der Weg zu einem Haustarif offen – das jedenfalls ist die Überzeugung des Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer (BDO) und seines niedersächsischen Landesverbandes GVN. Wie stuft die dortige Genehgmigungsbehörde die an sie herangetragenen Forderungen ein? Dazu hat Markus Schmidt-Auerbach Fragen an Rainer Peters von der Landesnahverkehrsgesellschaft (LNVG) Niedersachsen formuliert.

Herr Peters, an der Küste, im Zweckverband Verkehrsverbund Bremen/Niedersachsen (ZVBN) ist die erste Ausschreibung von Buslinienverkehren gerade entschieden, siehe ÖPNV aktuell 88/13. Im Vorfeld hat das mittelständische Verkehrsgewerbe hier, aber auch an anderer Stelle zwischen Küste und Harz verlangt, dass öffentliche Zusatzforderungen über das eigenwirtschaftlich darstellbare Angebot hinaus über eine AV, eine Allgemeine Vorschrift, finanziert werden. Ausgleichspflichtig seien zum Beispiel Mindereinnahmen durch die Anwendung eines Verbundtarifes, aber auch Mehraufwendungen durch Qualitätsvorgaben bei Fahrzeug und Bedienung. Die Aufgabenträger haben dies zurückgewiesen.
Wie stellt sich die Genehmigungsbehörde LNVG dazu: Ist die AV beim Verbundtarif zwingend?

Rainer Peters: Nein, bei aufgabenträgerinitiierten Verkehren hat der Aufgabenträger Wahlfreiheit.
Warum?
Peters: Zur Klärung der streitigen Rechtsfrage genügen zwei intensive Blicke: einer ins PBefG und einer in die Verordnung 1370/07.
Das neue PBefG statuiert in § 8 Absatz 4 den genehmigungsrechtlichen Vorrang eigenwirtschaftlicher, also unternehmerinitiierter Verkehre. Der Unternehmer entscheidet, ob er auf eigenes Risiko mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln einen Linienverkehr betreiben will oder nicht. Bejaht er die Frage, so steht ihm der eigenwirtschaftliche Genehmigungsweg offen. Verneint er sie, so liegt das weitere Vorgehen in der Hand des Aufgabenträgers.
Wie geht es weiter?
Peters: Der AT muss prüfen, ob für eine solche Verkehrsleistung ein öffentliches Verkehrsinteresse vorliegt und gegebenenfalls für ihre Bestellung und Bezahlung sorgen. Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung 1370 ist der Aufgabenträger zum Erlass einer AV befugt, wenn er niedrige Beförderungstarife für alle Fahrgäste festsetzen und den Unternehmen dafür einen Ausgleich zahlen will.
Wäre ein Verbundtarif ein typischer Anwendungsfall?
Peters: Genau. Nach Satz 3 der genannten Vorschrift hat der Aufgabenträger auch das „Recht“, den Tarifausgleich in einen öffentlichen Dienstleistungsauftrag (ÖDA) aufzunehmen. Dieses Wahlrecht wird innerhalb der Verordnung 1370 weder eingeschränkt – etwa zur Wahrung der „Eigenwirtschaftlichkeit“ von Linienverkehren – noch in die Disposition der Mitgliedstaaten gestellt – wie etwa bei der Inhousevergabe.
Aber wird die Wahlfreiheit zwischen den Instrumenten AV oder ÖDA durch das PBefG mit seinem ausdrücklichen Vorrang der Unternehmerinitiative wieder ausgehebelt?
Peters: Auch der deutsche PBefG-Gesetzgeber darf aufgrund der Höherrangigkeit des Unionsrechtes das Wahlrecht aus Artikel 3 der Verordnung 1370 weder abändern noch abschwächen. Der neue § 13 Abs. 2a PBefG, der in einem komplexen Stufenverhältnis die Versagung bzw. Genehmigung eines konkurrenzierend gestellten eigenwirtschaftlichen Antrages regelt, sieht das auch nicht vor. Er fordert bei einem durch den Aufgabenträger vorgegebenen Verbundtarif lediglich einen „Ausgleich“ nach der Verordnung 1370.
Das PBefG trifft also hinsichtlich der Wahl des Instrumentes – ÖDA oder AV – keine den Aufgabenträger bindende Festlegung? 
Peters: Etwaige letzte Zweifel am Willen des Gesetzgebers beseitigt ein Blick in die Gesetzesmaterialien. In der Begründung zu § 13 Abs. 2a PBefG heißt es ebenso knapp wie unmissverständlich, dass der Aufgabenträger Ausgleichszahlungen für Verbundtarife in einem ÖDA oder in einer AV vorsehen dürfe. Damit ist der rechtliche Befund klar.
Der Aufgabenträger darf also die gesamte Bandbreite der europarechtlich vorgesehenen Möglichkeiten nutzen. Ihm bleibt zum Beispiel auch die Option, einen ÖDA direkt an regionale mittelständische Unternehmen zu vergeben.
Das Recht ist stets nur die eine Seite, die andere ist die der politischen Opportunität.

Peters: Diese Frage zu beantworten, bleibt stets Aufgabe der verantwortlichen Akteure vor Ort.

Personen & Positionen
Interview von Ausgabe 89/13
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