„Die EU sollte ihren Markt schützen“

Sven Schulz; Foto: Akasol

Der Darmstädter Batteriehersteller Akasol beliefert zahlreiche Elektrobus-Hersteller – hauptsächlich in Europa und Nordamerika – mit Batteriesystemen. Man konkurriert dabei mit günstiger Ware aus Fernost. Geschäftsführer Sven Schulz erklärt im Interview vor der VDV-Elektrobuskonferenz, warum er in den chinesischen Importbatterien eine Gefahr für den heimischen Markt sieht, warum Europa eine eigene Produktion von E-Bussen braucht – und welche Verantwortung die Betreiber tragen, damit sie auch entstehen kann. Das Gespräch führte Julius G. Fiedler.

NaNa-Brief: Herr Schulz, wie sehr ist Akasol von Corona betroffen und wie sind Sie durch das vergangene Jahr gekommen?

Sven Schulz: Natürlich mussten auch wir in der Corona-Zeit unser Päckchen tragen. In der ersten Lockdown-Phase im Frühjahr kam es in den Werken unserer Kunden zu mehrwöchigen Blockpausen, sodass wir zeitweise keine Produkte ausliefern konnten. Trotz der Nachholeffekte im zweiten Halbjahr reduzierte sich unser Jahresumsatz um etwa 15 bis 20 Prozent und fiel damit geringer aus als geplant. Da wir im zweiten Halbjahr stark gewachsen sind, werden wir im Gesamtjahr dennoch voraussichtlich rund 70 Mio. Euro umgesetzt haben, was einer Steigerung von 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr entspricht.

Außerdem konnten wir unsere Produktionskapazitäten an unserem Standort in Langen von 300 Megawattstunden auf 800 Megawattstunden per anno mehr als verdoppeln und haben mit der Serienfertigung für Hochleistungs-Batteriesysteme an unserem neuen nordamerikanischen Standort in Hazel Park (USA) nahe Detroit begonnen. Seit unserem Serienproduktionsbeginn im Jahr 2018 haben wir akkumuliert rund 7000 Batteriesysteme produziert und werden 2021 ziemlich schnell die 10.000-Stück-Marke erreichen. Das Jahr ist für uns also trotz herausfordernder Rahmenbedingungen ganz versöhnlich gewesen.

NaNa-Brief: Die Busbranche wartet händeringend auf Batterien mit größerer Reichweite. Hat Akasol denn auch auf diesem Feld Fortschritte gemacht?

Schulz: Wir haben mit der Serienproduktion unseres neuen 48-Volt-Batteriesystems für elektro- oder hybridbetriebene Industriefahrzeuge begonnen. Bei unserer dritten Batteriegeneration, die wir ab Mitte 2021 in unserer neuen Gigafactory 1 Darmstadt produzieren werden, zeichnet sich ab, dass wir damit in puncto Energiedichte absolut führend sind. 200 Wattstunden pro Kilogramm versprechen extreme Reichweite bei geringem Gewicht. Damit werden wir auf eine Reichweite von bis zu 600 Kilometer kommen und die Anforderungen aller Hersteller und Betreiber vollständig erfüllen können.

NaNa-Brief: Sie haben ja schon gesagt, dass Sie seit dem vergangenen Jahr auch in den USA produzieren. Was ist das Ziel von Akasol auf dem nordamerikanischen Markt?

Schulz: In den USA haben wir bereits einen großen Nutzfahrzeughersteller als Serienkunden, dessen Busse und LKWs wir mit unseren Hochleistungs- und Hochenergie-Batteriesystemen ausstatten. Dort haben wir unsere Vertriebsaktivitäten weiter ausgebaut und rechnen damit, weitere Kunden gewinnen zu können. Die Dynamik entwickelte sich in den vergangenen Jahren auf dem nordamerikanischen Markt etwas schwächer als in Europa. Unsere Hoffnung liegt jetzt aber auf der neuen Biden-Regierung. Wir beliefern zwar Kunden weltweit, Nordamerika ist hinter Europa für uns jedoch ganz klar der zweitwichtigste Markt.

NaNa-Brief: Lassen Sie uns auf den Weltmarkt für Elektrobusse blicken. Was Elektromobilität im öffentlichen Busverkehr angeht, ist China Spitze, sowohl beim Bau als auch im Betrieb. Europa hinkt hinterher. Wie schnell kann der Kontinent aufholen?

Schulz: Es kann sehr schnell gehen! Die europäischen Hersteller stehen mit guten Produkten bereit, auch die letzten großen Fahrzeugbauer hierzulande haben inzwischen Elektrobusse in ihr Portfolio aufgenommen. Jetzt kommt es darauf an, wie schnell die Betreiber sich entscheiden, auf Elektromobilität umzusteigen und dabei auf europäische Produkte setzen, aber auch wie stark die Politik die Umstellung auf E-Busse unterstützt und fördert.

NaNa-Brief: In China geht die Regierung ja sehr entschlossen vor…

Schulz: Richtig, dort waren es maßgeblich politische Entscheidungen, aufgrund derer radikal auf Elektromobilität umgestellt wurde. Komplette Flotten mit Tausenden Fahrzeugen sind da in Großprojekten mit staatlichen Geldern aufgebaut worden.

NaNa-Brief: Brauchen wir solche Regierungsprojekte auch in Europa?

Schulz: Ich bin ehrlich gesagt kein Freund solcher Staatswirtschaft. Ein Produkt und eine Technologie muss sich mit entsprechender Wirtschaftlichkeit selbst am Markt behaupten können – und das können Elektrobusse im Vergleich zu Dieselbussen mittlerweile. Europa muss aber dafür sorgen, dass die eigene Wertschöpfung bei der E-Bus-Produktion nicht unter dem chinesischen Vorgehen leidet.

NaNa-Brief: Wo sehen Sie Gefahren für den europäischen Markt?

Schulz: Durch die staatlichen Subventionen der chinesischen Regierung sowohl für Batterieals auch für Fahrzeughersteller gibt es eine massive Wettbewerbsverzerrung. Die chinesischen Hersteller verkaufen ihre subventionierten Produkte billig nach Europa und überschwemmen den hiesigen Markt dadurch mit Ware, die qualitativ nicht mit den Produkten europäischer Hersteller mithalten kann.

NaNa-Brief: Nehmen wir einmal Ihr Spezialgebiet, die Batteriesysteme. Ein großer europäischer E-Bus-Hersteller kann zwischen einem Ihrer Batteriesysteme und einem chinesischen Fabrikat wählen. Welches wird er nehmen?

Schulz: Tatsächlich entscheiden sich sehr viele große europäische Hersteller auch für europäische Batteriesysteme. Wir beliefern in Serie beispielsweise Daimler Evobus und einen großen nordeuropäischen Hersteller, zuletzt haben wir mit dem größten türkischen Hersteller einen Serienrahmenvertrag abgeschlossen. Auch andere große E-Bus-Bauer wie Solaris setzen auf Batteriezulieferer aus Europa. Es kommt dabei natürlich auch auf die Qualitätsansprüche an. Ein großer Hersteller wie Daimler will den Kunden das liefern, was sie von einem Mercedes erwarten. Beim Preis-Leistungs-Verhältnis sind wir durchaus wettbewerbsfähig.

Leider kaufen aber nicht alle nur nach Qualitätskriterien: Einige denken kurzsichtig und kaufen das Billigste. Qualitätsunterschiede zwischen europäischen und chinesischen Systemen zeigen sich aber leider erst nach einigen Jahren. Am Anfang sieht alles großartig aus. Wenn Sie den Bus aber zehn Jahre betreiben wollen, sollten Komponenten verbaut sein, die diese Zeitspanne auch aushalten. Chinesische Hersteller glänzen nicht gerade mit Transparenz, was die Qualität oder die Nachhaltigkeit von Produkten angeht. Sie versprechen oft Leistungen und Funktionalitäten, die sie niemals halten können und das verzerrt den Wettbewerb. Hier sollte die Europäische Union genauer hinschauen und ihren Markt schützen.

NaNa-Brief: Da hört man schon die Rufe laut werden, das sei Protektionismus.

Schulz: Das ist es auch, ein Schutz gegen eine unverhältnismäßige Vorgehensweise seitens Chinas. Dementsprechend brauchen wir Mittel wie Strafzölle gegen die vom chinesischen Staat subventionierten Exportprodukte. Man muss bedenken: Wenn Hersteller oder Betreiber auf diese Produkte zurückgreifen, erhält die chinesische Wirtschaft zumindest indirekt auch Fördermittel, die eigentlich für die europäische Wirtschaft bestimmt sind. Das sollte unterbunden werden, auf dem Markt muss „Waffengleichheit“ herrschen. Natürlich brauchen wir auch eine globale Technologie- und eine Wettbewerbsoffenheit, aber unter fairen Bedingungen.

NaNa-Brief: Warum halten Sie es für erstrebenswert, dass zentrale Teile der Wertschöpfung bei E-Bussen in Europa stattfinden?

Schulz: Es ist sicherlich zielführend, dass wir in Europa ein eigenes „Ökosystem“ für Elektromobilität haben. Gerade Batteriesysteme sind dafür eine zentrale Technologie. Es wäre unklug, wenn wir dies aus der Hand geben und uns nur auf die System- und Fahrzeugkompetenz konzentrieren. In Ländern wie Großbritannien, die ihre Technologiekompetenz in bestimmten Industrien abgegeben haben und selbst nur noch wenig produzierendes Gewerbe haben, hat sich gezeigt, dass das für die Wirtschaft nicht gut ist.

NaNa-Brief: Das politische Klima hierzulande ist für E-Busse gerade günstig. Die EU schreibt mit der Clean-Vehicle-Direktive (CVD) Quoten für emissionsarme und -freie Fahrzeuge vor, die Umsetzung in nationales Recht ist auf dem Weg. Zusätzlich flankiert Deutschland die Beschaffung von E-Bussen durch neue Subventionen, zuletzt bei der EEG-Umlage. Nachdem zuerst nur Betreiber von Schienenfahrzeugen in den Genuss eines reduzierten Abgabensatzes kommen sollten, wird das nun auch für E-Busse gelten. Was könnte die Politik noch tun?

Schulz: Momentan gehen die Entscheidungen in die richtige Richtung. Die Elektromobilität als Technologie ist gerade in einer sensiblen Anfangsphase. Da ist es wichtig, dass die Politik unterstützend mitwirkt, damit die Dynamik nicht gebremst wird. Gerade die CVD könnte meiner Meinung nach sogar noch ein bisschen radikaler sein. In den meisten west- und nordeuropäischen Ländern müssen bis 2030 knapp 35 Prozent der Fahrzeuge emissionsfrei unterwegs sein. Für 35 Prozent der Flotte soll es gar keine Vorgaben geben.

Das wäre noch etwas ambitionierter gegangen. Was wir allerdings auch sehen: Unabhängig von den politischen Vorgaben machen sich viele Betreiber selbst Gedanken und sehen, dass ein Elektrobus eine sinnvolle Investition ist.

NaNa-Brief: Wie das, obwohl er in der Anschaffung noch immer deutlich teurer als ein dieselbetriebener Bus ist?

Schulz: Bei der Kostenrechnung muss schnell ein Umdenken stattfinden. Im herkömmlichen Verständnis von Anschaffungskosten sind Elektrobusse tatsächlich noch teurer als dieselbetriebene. Viel sinnvoller ist es aber, sich die Total Costs of Ownership, also die Gesamtkosten von Anschaffung und Betrieb über die Nutzungsdauer des Busses hinweg anzuschauen. Und da sehen wir ganz deutlich, dass sich Investitionen in Elektrobusse schon nach einem recht kurzen Zeitraum amortisieren. Nach unseren Informationen ist der Break-Even-Point mit der aktuellen Batterietechnologie nach vier bis fünf Jahren erreicht, mit unserer nächsten, dritten Technologiegeneration sogar noch deutlich schneller.

NaNa-Brief: Dennoch stellt sich Betreibern hier wieder die Frage: Nimmt man lieber ein etwas teureres europäisches Fabrikat oder ein günstigeres Importfahrzeug aus China?

Schulz: In diesem Fall stehen wir alle in der Verantwortung, eindeutig auch die Abnehmerseite. Die Hersteller können wettbewerbsfähige Angebote machen, wenn „Waffengleichheit“ auf dem Markt herrscht. Das Argument, dass die europäischen Hersteller einfach noch nicht so weit sind, gilt inzwischen nicht mehr. Wir Anbieter haben richtig und mit Augenmaß investiert.

Jetzt sind die Betreiber an der Reihe, ihren Schwerpunkt auch auf europäische Fahrzeuge zu legen. Wenn sie weiter den letzten Euro umdrehen und sagen, ich nehme dieses zehn oder 20 Prozent billigere chinesische Angebot, gehe damit ein Qualitätsrisiko ein und begebe mich in eine Abhängigkeit, können wir kein europäisches Elektrobus-Ökosystem aufbauen. Dafür brauchen wir nun mal die Betreiber. Das ist auch eine moralische Verantwortung der Betreiber gegenüber den Volkswirtschaften in Deutschland und Europa.

NaNa-Brief: Noch ein kurzer Blick in die Zukunft: Einige E-Bus-Hersteller fangen an, bei der Gestaltung ihrer Fahrzeuge Neues auszuprobieren. Ebusco und VDL etwa haben angekündigt, die Batterien bei kommenden Busmodellen im Boden statt auf dem Dach einzubauen. Wie flexibel können Sie auf solche Anforderungen reagieren?

Schulz: Sehr flexibel. Unsere aktuellen Batteriesysteme sind gerade mal 14 Zentimeter hoch und ließen sich demnach problemlos auch im Boden integrieren. Bislang werden von unseren Kunden unter anderem aus Sicherheitsgründen die Batterien vorzugsweise auf das Dach einer Anwendung gebaut. Bei Batterien im Bodenbereich besteht die Sorge, dass es bei einem Unfall wahrscheinlicher zu einem unerwünschten thermischen Event kommen könnte, das auch den Fahrgastraum betrifft. Im Stadtverkehr schaden die Batterien auf dem Dach der Fahrzeugstabilität nicht, da in kaum einer Stadt Kurven mit hoher Geschwindigkeit gefahren werden. Ebusco und VDL haben sicher ihre Gründe dafür, das anders zu machen. Am Ende ist es auch eine Philosophiefrage.

NaNa-Brief: Erwarten Sie, dass Hersteller das Packaging für ihre Batterien selbst übernehmen, um es perfekt an ihre Bedürfnisse anzupassen?

Schulz: Davon gehe ich nicht aus und es würde mich sehr wundern. Es ist so viel Dynamik in der Batterietechnologie, dass wir hier schon enorm spezialisierte Entwicklungskompetenz haben. Und dass sich ein Bushersteller diese Kompetenz kurzfristig komplett eigenständig aufbaut, halte ich doch für unwahrscheinlich.

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Artikel Redaktion Bus&Bahn
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