„Die politische Kernfrage ist: Warum machen wir Nahverkehr?"

Nach 17 Jahren Berufsexpertise in der Mobilitätsbranche – zuletzt als Berater bei Roland Berger, davor als ADAC-Geschäftsführer und Manager bei DB Bus – ist der 1973 geborene Rechtsanwalt Alexander Möller seit dem 1. April 2023 neuer Geschäftsführer ÖPNV des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV); Foto: Markus Schmidt-Auerbach

Einen „analytischen und klaren Blick“ sowie „Durchsetzungsstärke auch bei schwierigen Herausforderungen“: Beides hat das VDV-Präsidium dem neuen Geschäftsführer ÖPNV des Verbandes zum Amtsantritt bescheinigt. Nach zwei Monaten in der neuen Funktion hat sich Alexander Möller mit den Redaktionen des NaNa-Briefes, der NaNa und von Rail Business im VDV-Hauptstadtbüro zum Interview getroffen. Die Fragen stellten Manuel Bosch, Julius G. Fiedler und Markus Schmidt-Auerbach.

NaNa-Brief: Wie viel SPNV macht der Geschäftsführer ÖPNV des VDV?

Alexander Möller: Das Aufgabenfeld ist die öffentliche Mobilität, inklusive dem Themenfeld Integration, Intermodalität und Schnittstellen Schiene/Straße. Dadurch ergeben sich – wie immer schon – thematische Überschneidungen innerhalb des VDV, die aber mit großer Kollegialität gelebt werden. Das gilt vor allem für die politischen und rechtlichen Aspekte von Regulierung und Finanzierung des Angebots.

NaNa-Brief: Der VDV ist ja nicht nur ein Verband für ÖPNV und SPNV, sondern auch für den Schienengüterverkehr. Dieser Bereich ist in der öffentlichen Wahrnehmung nach unserem Eindruck allerdings eher unterrepräsentiert, oder?

Möller: Uns leitet, dass wir erfolgreich für den Schienengüterverkehr arbeiten und das oft zu wenig öffentlich wahrgenommen wird. Das zu ändern steht schon länger beim VDV auf der Agenda – und ich leiste aufgrund meiner Erfahrungen einen kleinen Beitrag. Wir wollen im Verband nicht nur nach innen, sondern auch nach außen mit derselben Begeisterung über den SGV sprechen wie über den Personenverkehr.

NaNa-Brief: Inwiefern wirkt sich diese Leitlinie auf ihre Arbeit aus?

Möller: Enorm. Denn es gibt mindestens bei der Trassenverfügbarkeit, besonders künftig beim Deutschlandtakt, eine große Überschneidung zwischen Personen- und Güterverkehr auf der Schiene. Wenn die Politik im Jahr 2030 einen Modal Split bei Güterbahnen von 25 Prozent erreichen will, müssen wir uns über die Verteilung der ohnehin knappen Trassen verständigen.

NaNa-Brief: Was sind die Leitlinien für ihre Arbeit im Personenverkehr?

Möller: Kundenorientierung, Finanzierung und Regulierung als Dienstleister für unsere Mitglieder. Wir müssen deshalb öffentlich viel stärker über die Rolle der Mobilität im ländlichen Raum reden. Intern tun wir das bereits ausführlich, Stichwort Plus-Bus. Klar, den einen ländlichen Raum gibt es nicht. Es gibt sehr dünn besiedelte Gegenden bis zu Speckgürteln der Großstädte. Und wir müssen immer wieder die harte Infrastruktur thematisieren, die Voraussetzung für ein gutes Angebot ist.

NaNa-Brief: Beim Stichwort Finanzierung kommt man unweigerlich zum D-Ticket und seinen Auswirkungen. Worauf legen Sie hier den Schwerpunkt Ihrer Arbeit?

Möller: Auf die künftige Finanzierung des Angebots auf Schiene und Straße. Wir müssen beispielsweise aufpassen, gerade nach Einführung des Deutschland-Tickets, dass die Einnahmeaufteilung weiterhin leistungsgerecht zwischen bestelltem SPNV und insbesondere dem kommunalen ÖPNV gestaltet wird.

NaNa-Brief: Sie haben bei unserer Tagung „D-Ticket – Was nun?“ am 24. Mai 2023 in Frankfurt gefordert, dass dem „Deutschland-Ticket“ ein „Deutschland-Angebot“ folgen müsse. Stellt das Ihre vierte Hauptaufgabe dar?

Möller: Thematisch ist dieser Komplex in den drei genannten Arbeitsschwerpunkten enthalten. Das Deutschland-Ticket fordert von uns bei Implementierung und Entwicklung weitere Arbeit ab. Deswegen die Formel: „Dem Deutschland-Ticket muss das Deutschland-Angebot folgen.“ Der eruptive Charakter des D-Tickets ist ein Erfolg an sich, aber wir müssen klären: Wie geht es nach 2024 weiter? Welche Folgen hat dieser Tarif für das Angebot, wie groß muss es sein, wie verlässlich, wie sehr an Kundenbedürfnissen, also den Mobilitätsbedürfnissen in den verschiedenen Räumen orientiert?

NaNa-Brief: In welchem Format soll diese Klärung stattfinden?

Möller: Das müssen wir vor allem über den Ausbau- und Modernisierung-Pakt in Angriff nehmen.

NaNa-Brief: Staatssekretärin Susanne Henckel hat hierzu am 24. Mai 2023 in Frankfurt einen beachtenswerten Aufschlag gemacht, indem sie erst den Fernbus und dann das Taxi in den Blick nehmen will.

Möller: Beides fällt mir beim Stichwort Deutschland-Angebot nicht ein. Wer das will – besonders aus Sicht des Fernbusses sehr verständlich –, muss erst mal die Finanzierung sicherstellen. Da wird es sicher bald Vorschläge des BMDV geben.

NaNa-Brief: Und über welches Vehikel wollen Sie die VDV-Anliegen zum AMP in die Politik transportieren?

Möller: Die Verkehrsministerkonferenz und das BMDV arbeiten in drei Unterarbeitsgruppen am AMP. Wir bringen uns da maximal ein und werden das in den nächsten Monaten verstärken.

NaNa-Brief: Eine Forderung zum AMP hat Bundesminister Wissing schon mehrfach artikuliert: Effizienzgewinne durch schlankere Strukturen und durch Digitalisierung. Staatssekretärin Henckel hat diese Digitalisierungs-Forderung nun noch einmal unterstrichen.

Möller: Je mehr wir fahren, was ja im Sinne der Klimaschutzziele richtig ist, desto mehr Personal brauchen wir. Und zwar nicht nur im Fahrdienst. Die Kernfrage ist doch, warum machen wir Nahverkehr und Nahverkehrsförderung? Es könnte für Deutschland ein sehr gutes verkehrspolitisches Ziel sein, auf dem Land den Zweitwagen überflüssig zu machen. Und dann müssen wir fragen: Was heißt Digitalisierung wirklich, für das Angebot zum Beispiel? Natürlich brauchen wir moderne IT-Lösungen für moderne Bedarfsverkehre. Wir müssen auch über flächendeckende Mobilitäts-Hubs reden.

NaNa-Brief: Heißt das, der VDV will mit den Ländern und dem Bund über mehr P+R-Plätze verhandeln?

Möller: Wir müssen mal aus den alten Kategorien raus. P+R-Plätze sind für die Zukunft der Mobilität auf dem Land nicht entscheidend. Wir müssen nach den Mobilitätsbedürfnissen der Menschen dort fragen. Und damit kommt man zur Frage, wie kann man die S-Bahn über die letzte Station hinaus verlängern, zum Beispiel durch On-demand-Verkehre. Und natürlich müssen wir über die Schülerverkehre reden, die heute das Rückgrat des ÖPNV auf dem Land bilden. Aber mit diesem minimalen Basisangebot kann ich keine Umsteiger vom Pkw begeistern.

NaNa-Brief: Das sieht offensichtlich auch DB Regio Bus so; jedenfalls hat Peter Zimmer auf der Frankfurter Tagung davon gesprochen, dass der Staatskonzern auf seinen klassischen Linien bislang keinen Fahrgastzuwachs durch das Deutschland-Ticket registriert. Wie wird das Angebot sinnvoll erweitert?

Möller: Peter Zimmer hat gezeigt, dass mit DB Regio Bus weiter zu rechnen ist und wo sie die Schwerpunkte der Zukunft beim Angebot sehen. Das meiste davon teilt die gesamte Branche, und das bilden wir im AMP als Diskussionsbeitrag ab.

NaNa-Brief: Sind die im VDV organisierten Verkehrsunternehmen, und hier vor allem die Verbünde, bereit zu einer Konsolidierung „bis hin zur Selbstauflösung“?

Möller: Zuerst müssen wir wissen: Kommen durch das neue Tarifangebot neue und ganz neue Kunden? Und was bedeutet das? Ich führe keine Strukturdebatte nach dem Motto: ein Bundesland, ein Aufgabenträger, ein Verkehrsverbund. Wer diese Frage auf den Tisch legen möchte, dem setzen wir gerne aus Sicht unserer Mitgliedsunternehmen Pro und Kontra auseinander. Aber zunächst sollten wir vom Angebot sprechen. Dass manche Strukturdebatten anstoßen möchten, um inhaltliche Debatten zu vermeiden, nehme ich wahr.

NaNa-Brief: Gleichwohl gibt es bei den Fahrgästen einen Wunsch nach Konsolidierung. Auch das ist in Frankfurt bei „D-Ticket – Was nun?“ deutlich geworden: Zwar wird den Menschen ein bundesweiter Tarif angeboten, aber kein bundesweiter Kundendienst mit zentraler Kundendaten-Haltung, demzufolge auch keine zentrale Anspruchsstelle. Ruft das nicht regelrecht nach einer Organisationsreform?

Möller: Da fragen Sie den Falschen. Denn wenn eine Organisation einen Beitrag zur gemeinsamen Arbeit im Rahmen des wettbewerbs- und kartellrechtlich Zulässigen leistet, dann der VDV. Wir haben den Postleitzahlenfinder für das Deutschland-Ticket aufgesetzt. Und ohne unsere E-Ticket Service GmbH gäbe es nicht einen Standard für E-Tickets, sondern zwanzig.

NaNa-Brief: Brauchen wir angesichts der D-Ticket-Dynamik vielleicht einen Staatsvertrag von Bund und Ländern, der einheitliche Standards für den öffentlichen Verkehr vorgibt?

Möller: Wir brauchen dringend eine Verständigung von Bund und Ländern, mindestens einen runden Tisch mit verbindlichen Ergebnissen, um ein verbindliches Angebot und dessen Qualität zu definieren und um es kooperativ zu gestalten. Es wäre klug, auch die Aufgabenträger, das heißt die Kommunen, einzubeziehen und ebenso die Branche, insbesondere den VDV.

Das Deutschland-Ticket macht uns ja deshalb so sorgenvoll, weil wir nicht wissen: Wann werden Bund und Länder ihre Verabredung aus dem Entlastungspaket II durchbrechen? Dieses hat keinen gesetzlichen Charakter. In das Projekt Deutschland-Ticket buttert die Branche gerade alles an Kapazität, an Angebot, an Arbeitskraft hinein, was zur Verfügung steht. Gleichzeitig ist völlig unklar, was sich aus diesem Projekt für das Verhältnis von Bund und Ländern ergibt, für die Finanzierung der kommunalen Verkehrsunternehmen oder für den Schülerverkehr.

NaNa-Brief: Darf man daraus schließen, dass der VDV mit den kommunalen Spitzenverbänden den Schulterschluss sucht?

Möller: Ich freue mich auf einen ersten Austausch noch vor der Sommerpause. Wir tauschen uns aus, nicht um über Spiegelstriche der ÖPNV-Regulierung zu sprechen, sondern damit wir uns gemeinsam mit der Frage auseinandersetzen: Welche Verkehrspolitik müssen wir verfolgen, damit die Menschen, durchaus regional unterschiedlich, ein verlässliches Angebot im Nahverkehr haben? Und da brauchen wir zum Beispiel Veränderungen am Vergaberecht.

NaNa-Brief: Inwiefern ist das Vergaberecht heute ein Hindernis für ein modernes Nahverkehrsangebot?

Möller: Solange nicht geklärt ist, welche Verantwortung der Bund für Regulierung und Finanzierung hat, welche die Länder und welche die Kommunen, sind integrierte Vergaben von SPNV und ÖPNV kaum machbar. Dazu kommt die rechtliche Unsicherheit bezüglich sogenannter Innovationsbudgets. Zehn Prozent des Auftragswertes werden gemeinhin akzeptiert. Allerdings ist diese Regel in der Rechtsprechung entwickelt worden, nicht durch den Gesetzgeber. Das reicht nicht. Außerdem werden solche Verfahren regelmäßig angegriffen, auch von jenen, die öffentlich für flexible Verfahren mit Innovationsbudgets und mehr eintreten.

NaNa-Brief: In vielen Landkreisen gibt es längst ein Angebot über dem Niveau des alten Schülerverkehrs. Muss es wirklich einen „Bundesstandard ÖPNV“ geben, muss eine solche Vereinbarung Teil des AMP werden?

Möller: Wer von uns hätte vor zwei Jahren erwartet, dass es 2022 die erste bundesweite Flatrate gibt? Und jetzt, kaum ein Jahr später, hat sich das verstetigt. Ich bin überzeugt, dass die Menschen, ob sie nun am Starnberger See oder am Steinhuder Meer leben, nach einem verlässlichen Angebot verlangen werden, das ihnen eine Mobilität ohne Auto ermöglicht. Eine solche Festlegung wäre nicht nur sozialpolitisch, sondern auch klimapolitisch extrem wichtig. Und es ist völlig klar, dass die Kommunen so etwas nicht allein bezahlen können.

NaNa-Brief: Im Klartext: Will der VDV die Regionalisierung ein Stück zurückdrehen?

Möller: Der VDV hat diese Entwicklung nicht vorangetrieben, das kommt aus politischen Erwägungen des BMDV. Insofern ist der Bund gefordert, seine verkehrs- und klimapolitischen Zielen entsprechend zu definieren. Bundesverkehrsminister Wissing hat während seiner Amtszeit in Rheinland-Pfalz ein ÖPNV-Gesetz geschaffen, das zeigt: ÖPNV ist wichtig, ist eine Pflichtaufgabe, bei gleichzeitig hoher Subsidiarität. Dieses Landesgesetz könnte eine gute Blaupause für den Bund sein, allerdings mit einem entscheidenden Unterschied: Rheinland-Pfalz hat sein ÖPNV-Gesetz nicht wirklich gegenfinanziert, das darf jetzt nicht passieren.

NaNa-Brief: Verfassungsrechtlich dürfte es extrem schwer werden, dass der Bund die kommunale Aufgabe Nahverkehr mitfinanziert. Der Bundesrechnungshof steht ja schon bei den Regionalisierungsmitteln auf der Bremse.

Möller: Wir müssen weg von dieser oberflächlichen Rechnungshofdebatte und hin zu einer ernst gemeinten Neuorganisation einer auskömmlichen und gesicherten Finanzierung.

NaNa-Brief: Die Vision für das D-Ticket war es, einheitliche Bestimmungen für ganz Deutschland zu schaffen. Kaum ist diese breite Schneise durch den Tarifdschungel geschlagen, herrscht neuer Wildwuchs. Ein Bundesland, fünf Verbünde, fünf Mitnahmeregeln. Kann das so weitergehen?

Möller: Die Geschwindigkeit ist atemberaubend, mit der die erreichte Vereinheitlichung beim Deutschland-Ticket drangegeben wird. Das ist besonders für die Kolleginnen und Kollegen im direkten Kundenkontakt belastend. Besonders schwierig finde ich das Thema Schülerbeförderung. Einzelne Schulträger nutzen das neue Angebot, um sich in der Schülerbeförderung finanziell zu entlasten. So aber war das Deutschland-Ticket nicht konzipiert. Diese kommunale Entlastung geht zulasten Dritter. In einem atemberaubenden Tempo wird die Planungssicherheit für die Verkehrsunternehmen untergraben, und auch die Binnenfinanzierung im Verhältnis Land/Kreise gerät in Schieflage.

Am schwierigsten dürfte es aber für den Bund werden, der sicher nicht die Schülerbeförderung finanzieren wollte. Das zeigt, wie dringend wir eine gesamtstaatliche Lösung der anstehenden Fragen brauchen. Und dazu gehört auch ein geeignetes Angebot beim Deutschland-Ticket für Kinder und für Familien.

NaNa-Brief: An welche Gruppen denken Sie noch?

Möller: Wir wollen nicht viele verschiedene Lösungen. Die Evaluierung wird uns aber helfen, das Deutschland-Ticket so weiterzuentwickeln, dass es noch mehr Menschen erreicht. Da kann ich mir zum Beispiel eine Lösung für die Mitnahme von Kindern ab sieben Jahren vorstellen, darunter fahren sie ohnehin kostenlos mit. Für ein einheitliches Semesterticket gibt es leider momentan noch keine politische Einigung unter den Ländern. Gleichwohl zeigen die ersten Abstimmungen von Asten gegen ihre bestehenden Regelungen, dass dem Markt ohne eine solche bundeseinheitliche Lösung was wegbricht.

NaNa-Brief: Wir kommen ursprünglich aus der Welt der Haustarife, als Nächstes gab‘s Tarifgemeinschaften, dann kleine Verbünde, große Verbünde, inzwischen gibt es Landestarife und ganz neu die DTVG. Aktuell ist ein Supergremium in Vorbereitung, um die Einnahmeaufteilung für das Deutschland-Ticket zu organisieren. Unter all diesen Gremien laufen die alten Strukturen weiter. Kann sich die Branche das noch leisten, in einer Tarifwelt, in der 80 Prozent vom D-Ticket bestimmt sind?

Möller: Die 80 Prozent nehme ich nicht wahr. Richtig ist, dass das System völlig erschöpft ist. Nicht nur die Infrastruktur, auch die Menschen. Wir leben in jeder Hinsicht von der Substanz. Wir müssen die Auswirkungen des D-Tickets auf die Nachfragesituation evaluieren und daraus Schlüsse für den ÖPNV von morgen ziehen.

NaNa-Brief: Die Begeisterung für noch einen Arbeitskreis dürfte auf Länderseite sehr gering sein, auch das wurde auf unserer Tagung in Frankfurt deutlich. Die Arbeit in unzähligen Gremien und Untergremien und Koordinierungszonen hat die Ministerien extrem herausgefordert. Wie ist die Lage aus VDV-Sicht?

Möller: Ich plädiere für einen Neustart der Governance zum D-Ticket. Das gilt für die begleitende Gremienstruktur und ihre Inhalte. Aktuell nehme ich wahr, dass Einzelne ihre ohnehin vorhandene Programmatik über die Governance umsetzen wollen. Das ist nicht gut.

NaNa-Brief: In den letzten drei Jahrzehnten sollte die Nutzerfinanzierung ausgebaut werden. Jetzt verzichtet die Politik im großen Stil auf Erlöse vom Fahrgast. Erwartet der VDV, dass ein entsprechendes Mengenwachstum die Verluste ausgleicht?

Möller: Nein. Deshalb ist die Finanzierung des ÖPNV über das D-Ticket hinaus leider weiterhin die zentrale Frage. Gleichzeitig hat sich die Haushaltslage des Bundes seit 2021 nicht verbessert. Vor diesem Hintergrund halten wir es für unsere Pflicht herauszuarbeiten, was die Branche alleine für jene Aufgaben braucht, die die uns durch den Bund oder über die EU gesetzlich auferlegt werden. Sollte der Bund sagen, er kann oder will uns jene 48 Milliarden Euro nicht geben, die das Leistungskostengutachten 2021 für die Jahre 2022 bis 2030 errechnet hat, dann müssen wir zumindest über die Finanzmittel sprechen, die sich zum Beispiel aus der CVD und ihren Folgekosten errechnet oder aus den fälligen Ersatzinvestitionen in die auch kommunale Schieneninfrastruktur und das Rollmaterial. Weder Verkehrsunternehmen aus ihren operativen Ergebnissen noch Kommunen mit ihren strapazierten Haushalten können diese Mittel bereitstellen.

Bei alledem müssen wir der Politik verdeutlichen: Ohne den Angebotsausbau wird der ÖV nicht an die Produktvorteile des MIV heranreichen. Das heißt wir werden die Mobilitätswende nicht schaffen.

NaNa-Brief: Die Eigenwirtschaftlichkeit im Busverkehr ist schon erheblich unter Druck. Unsere regelmäßigen Marktanalysen beweisen es. Durch die CVD gerät dieses Marktregime weiter ins Hintertreffen. Wie ist die künftige Position des VDV zu den Marktakteuren aus dem Mittelstand?

Möller: Ich kann das nur aus meinen zurückliegenden Jahren der Beratung bewerten. Demnach spielt die Eigenwirtschaftlichkeit bei den meisten Unternehmen dort eine immer kleiner werdende Rolle. Erfolgreiche Mittelständler konzentrieren sich auf den Ausschreibungsmarkt und erzielen dort Erfolge. Außerdem wachsen die Geschäfte im SEV und als Dienstleister zum Beispiel für die kommunalen Unternehmen.

Insofern müssen wir als VDV die Interessen des Mittelstandes stärker mitdenken. Wir haben aus unserer verbandspolitischen Konstellation heraus dafür eine gute Ausgangslage. Es ist etwa toll zu sehen, wie viele Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer der Landesverbände des privaten Gewerbes bei unseren Landesgruppen zu Gast sind und mit uns offen und ehrlich diskutieren.

NaNa-Brief: Heißt das, Sie fahren einen Konfrontationskurs zum BDO, der die Eigenwirtschaftlichkeit hochhält?

Möller: Nein. Nach meinem Eindruck arbeiten wir mit BDO oder BSN sehr gut zusammen.

NaNa-Brief: Haben Sie die Unternehmensverbände NEE und Mofair vergessen aufzuzählen?

Möller: (Lacht.) Sie haben nach dem BDO gefragt und mir fiel der BSN mit ein, weil wir gerade in der ArGe zur EAV des Deutschland-Tickets viel zusammen arbeiten.

NaNa-Brief: Wann werden wir die ersten Evaluationen zum Deutschland-Ticket bekommen?

Möller: Die Clearingstelle von BSN, BDO, DTVG und VDV wird Ende Juni erstmals eine Übersicht aller verkauften D-Tickets erhalten. Aktuell erfassen die Vertriebsdatensammelstellen die Angaben. Das Ergebnis soll erst den Ländern, dann allgemein zugänglich gemacht werden. Ab 2024 folgt, wie verabredet, die Einnahmeaufteilung des D-Tickets nach Postleitzahlen, später nach tatsächlicher Nutzung. (mb/jgf/msa)

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Artikel Redaktion Bus&Bahn
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