„Ein Klimafonds Mobilität ist dringender denn je!“

Dr. Heike van Hoorn; Foto: DVF / Erika Barbély-Hansen

Werden App-gestützte Sammeldienste nach Corona noch gebraucht? Werden Heimarbeit und Heimlernen die Nachfrage nach Bus und Bahn nachhaltig dämpfen? Und wird die Klimadiskussion der Branche nach Corona weiter Aufwind geben? Im Interview mit Heike van Hoorn, Geschäftsführerin des deutschen Verkehrsforums, ging es aber auch um die Zukunft des Lobbyings und den Ausgleich coronabedingter Lasten. Die Fragen stellte NaNa-Brief-Chefredakteur Markus Schmidt-Auerbach – wegen Corona am Telefon.

NaNa-Brief: In Windeseile haben Firmen wegen Corona auf Heimarbeit und Videokonferenzen umgestellt. Sogar im Unterricht hat sich das Distanzlernen etabliert. Was werden die Folgen für den Verkehr sein? Braucht Deutschland nach der Coronapause weniger ÖV?

Dr. Heike van Hoorn: Ich glaube nicht, dass Homeoffice und gleichzeitig Homeschooling für alle Arbeitnehmer die ideale Kombination ist. Viele werden sich nach der Coronapause die gewohnte Trennung der Sphären Beruf/Privat zurückwünschen. Gleichwohl – und das haben wir ja auch in der NPM, der Nationalen Plattform Mobilität, diskutiert – kann digitale Kommunikation uns helfen, einige Probleme im Verkehrsbereich zu mildern. Viel schwerwiegender sind aber einerseits der Megatrend zur Urbanisierung, zur Verdichtung, und andererseits das Erfordernis zum Klimaschutz. Wenn unsere urbanen Räume lebenswert bleiben sollen, wenn auch der Wirtschaftsverkehr nicht im Dauerstau steckenbleiben soll, dann führt an mehr öffentlichem Verkehr gar kein Weg vorbei. Kurzum: Nein, nach Corona wird es keine Abkehr vom ÖV geben, im Gegenteil.

NaNa-Brief: Auch in Ihrem Verband, dem Deutschen Verkehrsforum, haben Sie wegen Corona die digitale Kommunikation verstärkt, haben zum Beispiel die Mitglieder zum Videochat mit Minister Andreas Scheuer eingeladen. Ist das der Lobbyismus der Zukunft?

van Hoorn: Wir waren vom Zuspruch sehr angetan. Mehr als 120 von 170 Mitgliedern haben das Angebot angenommen. Und die Technik ist im Großen und Ganzen leistungsfähig, auch wenn man in Sachen Datenschutz bei manchen Programmen durchaus skeptisch sein darf. Aber das konnten wir hier in Kauf nehmen, da es eine fachöffentliche Veranstaltung für unsere Mitglieder war. Ich bin fest überzeugt, dass Telkos und Videocasts in der Fachkommunikation nun verstärkt genutzt werden. Trotzdem: Den persönlichen Austausch werden diese neuen Formen nicht ersetzen. Die Begegnung von Mensch zu Mensch wird immer wichtig bleiben, um Vertrauen aufzubauen und dann vertraulich miteinander zu sprechen.

NaNa-Brief: Sie haben das Thema Klimaschutz angesprochen. Wegen Corona kommt nun beispielsweise aus der Autoindustrie die Forderung, die beschlossenen Klimamaßnahmen weniger strikt auszulegen. Vor Corona hieß es in der ÖV-Branche: „Fridays for Future hat uns wie eine Welle emporgehoben.“ Wird das so bleiben?

van Hoorn: Im Augenblick sind noch alle wesentlichen Kräfte dagegen, die Klimaziele für 2030 aufzuweichen. Allerdings haben wir uns auch schon vor der Krise gegen Pläne der EU-Kommission gewehrt, die CO2-Ziele weiter zu verschärfen. Von den bestehenden Klimazielen abzurücken wäre aber nicht vernünftig. Innovationspolitisch gesehen geht es um unsere Zukunft. Unsere Wirtschaft steht unter erheblichem Anpassungsdruck, es wird keine Rückkehr zu alten Methoden und zum alten Ressourcenverbrauch geben. Wir müssen aber verstärkt über die Anpassungskurven reden. Bislang soll der Verkehr Jahr für Jahr dieselbe Höhe an CO2-Einsparung bringen. Eine progressive Kurve wäre allerdings angemessener, da sie mit dem Innovationspotenzial besser zusammenpasst.

NaNa-Brief: Warum?

van Hoorn: Die Fortschritte werden am Anfang langsamer sein, sich dann aber im Laufe der Zeit gegenseitig verstärken. Skalierungseffekte und Marktdurchdringung mit alternativen Antrieben, aber auch die dazugehörige Infrastruktur werden immer stärker zunehmen und den Prozess beschleunigen. Unsere Fahrzeug- und Motorenhersteller, aber auch die Zulieferindustrie müssen die entsprechenden Techniken dazu entwickeln. Am CO2-Ziel sollten wir unbedingt festhalten, aber einen gangbaren Weg dorthin einschlagen.

NaNa-Brief: Corona bürdet uns ungeheure gesellschaftliche Aufgaben auf. Die Staatsverschuldung nimmt in einem atemberaubenden Tempo zu, um den virusbedingten Atemstillstand der Menschen zu verhindern. Selbst wenn man davon ausgeht, dass der ÖV weiterhin einen so hohen Stellenwert haben muss, wie Sie voraussagen: Wird die Branche die Mittel für die Verkehrswende bekommen? Schon jetzt ist ja völlig unklar, ob und wie die coronabedingten Einnahmeausfälle bei Bus und Bahn ausgeglichen werden.

van Hoorn: Als Verkehrsforum sind wir sehr glücklich darüber, dass der Staat so schnell geholfen hat, mit Liquiditätshilfen zum Beispiel, und dass er bei unzureichenden Maßnahmen rasch nachgesteuert hat, etwa bei den Hilfen für Unternehmen von elf bis 249 Mitarbeitern. Wir begrüßen es auch, dass GVFG- und RegG-Mittel weitergezahlt werden. Aber es bleiben eine Menge Fragen offen. Was ist mit den Verkehrsunternehmen, bei denen schlagartig der Auftragsbestand auf null oder nahe null gesunken ist? Schon vor Corona gab es in unserem Mitgliederkreis die Sorge, dass der Staat öffentliche Verkehrsunternehmen in eine Verschuldungsfalle treibt, nämlich durch die Vorgaben zum Klimaschutz. Die Kosten des Flottenumbaus für Elektrobusse etwa, so war vielfach der Eindruck, sollte keinesfalls die schwarze Null der öffentlichen Haushalte gefährden, sondern in den Bilanzen der Verkehrsunternehmen versteckt werden.

NaNa-Brief: Und nun besteht die Sorge, dass es mit den Folgekosten von Corona vielleicht ähnlich verlaufen könnte?

van Hoorn: Jedenfalls liegen bislang noch keine Vorschläge auf dem Tisch, wie die Einnahmeausfälle ausgeglichen werden. Hinzu kommt ein weiteres Problem: Den öffentlichen Verkehrsunternehmen verwehrt das Beihilferecht den Zugang zu staatlichen Hilfen. Da müssen wir schnellstens nachsteuern.

NaNa-Brief: Verkehrsminister Scheuer hat jetzt in einem Interview beteuert, er werde am Ausbau der Verkehrsinfrastruktur festhalten. Auch für den ÖV ist es ja eine Kernfrage, ob der Ausbau der Bahnknoten nach Corona vorankommt, ob die vielen SPNV-Reaktivierungen und Stadtbahnprojekte vorankommen. Wagen Sie eine Prognose?

van Hoorn: Nach Corona wird auf jeden Fall Streit um die knappen finanziellen Ressourcen einsetzen. Das ist durchaus eine Gefahr für den Verkehr und die Verkehrswende. Wir haben schon vor dieser Epidemie die Politik aufgerufen: Bündelt die Mittel für die klimapolitischen Maßnahmen der volkswirtschaftlich hochwirksamen Verkehrsinfrastruktur in einen Mobilitäts-Fonds! Damit diese Mittel krisenfest gesichert werden und sie nicht in andere Politikbereiche umgeschichtet werden können. Immerhin geht es darum, eine volkswirtschaftliche Rendite von mindestens 20 Prozent zu sichern! Deswegen sage ich: Ein Klimafonds für den Mobilitätsbereich ist dringender denn je!

NaNa-Brief: Lassen Sie uns auch über Psychologie, Soziologie und Politik sprechen. Welche Lehren sollten hier aus Corona gezogen werden?

van Hoorn: Alle haben gesehen, dass der öffentliche Verkehr systemrelevant ist. Das ist gut! Wir sehen aber auch, dass unser Föderalismus – bei allen Stärken, die ich anerkenne –, mit der Vielzahl an Aufgabenträgern auch Probleme bringt. Ländergrenzen, Verbundgrenzen sind leider auch Grenzen für bestimmte Regeln sowie für die Kommunikation. Wenn wir diese Vielfalt wollen, dann sollten wir nach der Krise überlegen, wie wir zumindest eine zentrale Plattform schaffen, um über die Verbund- und Systemgrenzen hinaus dem Fahrgast das Reisen leichter zu machen.

NaNa-Brief: Hat denn angesichts von Corona eine PBefG-Novelle in dieser Legislatur noch eine realistische Chance?

van Hoorn: Nach allem, was wir hören, hält die Politik an dem Auftrag aus dem Koalitionsvertrag unverändert fest. Auch besteht die sogenannte Findungskommission weiterhin. Aber die Thematik ist einerseits sehr komplex. Und andererseits stehen jetzt wegen Corona eine Menge zusätzliche Aufgaben im Fokus. Deswegen erscheinen mir Fortschritte bei diesem Thema im Jahr 2020 unwahrscheinlich. Corona kann aber aus unserer Sicht auch diese Diskussion befruchten: Wenn die Bürger die Massentransportmittel, zum Beispiel aus Angst vor einer Infektion, meiden, sollte die Volkswirtschaft über eine Alternative verfügen, um eine Mindestversorgung mit Mobilität zu sichern. Wir bleiben optimistisch, dass eine Novelle eine zusätzliche Verkehrsart ermöglichen wird, ohne dabei die bestehenden Angebote im ÖV zu gefährden.

NaNa-Brief: Schrittweise soll Deutschland aus der Coronapause zum Alltag zurückkehren. Das bedeutet auch den Hochlauf bei Bus und Bahn. Welchen Wunsch hätten Sie hier an die Politik?

van Hoorn: Greift den Verkehrsunternehmen weiter unter die Arme! Aber gebt ihnen auch frühzeitig Perspektiven. Veröffentlicht frühzeitig einen Fahrplan für den Hochlauf, für die einzelnen Schritte. Damit die Unternehmen sich darauf einstellen können, dass sie genügend Kapazität bereitstellen, für Abstand sorgen können. Und zeigt den Bürgern, dass es sicher ist, mit dem öffentlichen Verkehr zu fahren! (msa)

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Artikel Redaktion Bus&Bahn
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