„Eine tolle Idee, wenn wir sie finanzieren können“

Im Gespräch mit „ÖPNV aktuell“ bewertet Knut Ringat die Koalitionsverträge im Bund und in Hessen. Der Geschäftsführer des Rhein-Main-Verkehrsverbundes (RMV), Vizepräsident des Verbands Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und Präsident der Deutschen Verkehrswissenschaftlichen Gesellschaft (DVWG) hätte sich deutlich mehr Finanzierungszusagen gewünscht, ist aber nicht nur pessimistisch. Trotz anhaltender Probleme im Regionalbusverkehr bekennt er sich zum Wettbewerb, wo sich insbesondere regional verankerte Unternehmen positiv auszeichneten. Beim vierten und letzten Schritt der RMV-Tarifstrukturreform setzt er auf Sorgfalt vor Tempo. Die Fragen stellte Chefredakteur Markus Schmidt-Auerbach.

In Berlin hat sich der Bundestags-Verkehrsausschuss konstituiert, in Wiesbaden tritt morgen, Samstag, der neue Landtag erstmals zusammen. Welche Erwartungen verknüpft Knut Ringat als RMV-Geschäftsführer, welche als VDV-Vizepräsident mit den neuen Exekutiven?
Knut Ringat: Wir freuen uns über die Bekenntnisse in beiden Koalitionsverträgen zum Erhalt der Infrastruktur. Aber 5 Mrd. EUR mehr Bundesmittel über vier Jahre werden nicht reichen, den BVWP zu priorisieren und den Status quo zu sichern. Irgendwie hat manch einer auf dem Weg vom Wahlkampf in die Regierung seine Prioritäten verschoben. Die neue Landesregierung will sich im Bund dafür einsetzen, dass der Bund künftig deutlich mehr in Hessen investiert.  Hier stehen wir Seite an Seite. Hessen wird, gemessen an seiner Verkehrsbedeutung, bislang deutlich zu wenig bedacht, sehr deutlich!
Schwarz-Grün in Hessen will sich in Berlin für eine Dynamisierung der RegMittel um 2,5 % einsetzen. Ausgemacht ist eine solche Erhöhung nicht, wird das Problem doch mit vielen anderen Fragen in einer neuen Föderalismus-Kommission verhandelt. Ist Ihre Prognose bei den konsumtiven  Mitteln ähnlich negativ wie bei den Investitionen?
Ringat: Ich bin bei beidem nicht grundsätzlich pessimistisch. Bei den Reg.Mitteln sehe ich einen Silberstreif am Horizont vielleicht schon Mitte des Jahres. Es ist klar: Bei Kürzungen  im Bund werden wir im RMV SPNV-Leistungen streichen  müssen. Allerdings können wir den Fahrgästen nicht 1:1-Anpassungen zumuten.
Die Branche setzt hohe Hoffnung auf eine höhere Nutzerfinanzierung. Die Straße wird sich über Zusatzmilliarden aus der Maut freuen. Was bleibt dem öffentlichen Verkehr?
Ringat: Mit meinen Kollegen aus dem VDV und der DVWG setze ich mich dafür ein, dass Zusatzeinnahmen im Verkehr – ob nun Beiträge, Nutzerfinanzierung oder Steuern – vollständig in das Verkehrssystem zurückfließen.
Deswegen habe ich auch große Sympathien für den Vorschlag von DB-Chef Rüdiger Grube für einen Schienenfonds. Das Netz gehört der Bundesrepublik Deutschland, und die Bundesrepublik Deutschland hat sich damit auseinanderzusetzen, dass es nutzbar bleibt. Mainz ist ein Menetekel.
Der RMV-Pünktlichkeitswert 2013 ist spürbar gesunken – durch das „Mainzer Bahnchaos“, aber auch infolge anderer Infrastrukturprobleme. Wie steuern Sie gegen?
Ringat: Was nicht gefahren wird, bezahlen wir nicht. Aber lieber würden wir es im Interesse der Fahrgäste ausgeben. Wir erwarten, dass DB Netz/DB StuS den EVU auch einen Ausgleich bietet, wenn diesen nun ein Malus droht. Der RMV hat keine direkten Vertragsbeziehungen mit den Infrastrukturtöchtern der DB. Aber wir haben mit dem Konzern jetzt einen Jour-fixe zur Qualitätssicherung eingerichtet. Mitglieder sind unter anderem der Konzernbevollmächtigte Klaus Vonhusen und Charlott Lutterbeck, die Chefin von DB Regio Hessen. Unter dem neuen Vorstand von DB Netz Frank Sennhenn weht ein guter Wind!
Die neue LR fordert innovative Nahverkehrstarife? Wie realistisch ist ein Landes-Schülerticket?
Ringat: Eine tolle Idee – wenn wir sie finanzieren können. Eine Tarifreform ist immer anspruchsvoll. Verschätzen wir uns um 1 Prozentpunkt, fehlen uns nachher 7 Mio. EUR. Deswegen realisieren wir auch die schon beschlossene Tarifstrukturreform in Schritten. Wir haben hier quasi jedes Mal eine Verbundneugründung unter Volllast!
Aus Frankfurt gab es zuletzt Kritik am Tempo der Tarifstrukturreform. 
Ringat: Ich gehe davon aus, dass wir in zwei bis drei Jahren die vierte Stufe, die Einführung von Relationstarifen, umsetzen können. Phase 1 war das Semesterticket, Phase 2 die kreisweiten Schülertickets, bei uns Clevercards genannt, und Phase 3 war die Entkopplung von Fläche und städtischen Räumen. Diesen dritten Schritt haben wir zum Fahrplanwechsel im Dezember realisiert. Die neue vertriebliche Vielfalt bedarf einer gründlichen Abstimmung. Sorgfalt geht vor Schnelligkeit. Entweder alle oder keiner. Nicht alle Vertriebstechnik kann die neuen Anforderungen  abbilden.
Haben Sie die Busverkehre in den ersten Ausschreibungsrunden zu billig vergeben? Mit Abellio hat sich ein weiterer Big Player aus dem Markt verabschiedet, mit HAV Nadler hat kürzlich ein bedeutender Mittelständler Insolvenz angemeldet. Die südhessische Verkehrsgesellschaft Werner bietet auch unter dem neuen Eigentümer Transport Capital (TC) erhebliche Qualitätsprobleme. 
Ringat:
Um mit dem letzten zu beginnen: Wir stehen mit den Genehmigungsbehörden in engem Kontakt zur Frage, ob Werner noch seiner Betreiberpflicht genügt. Es ist offensichtlich, dass die Preise für unsere Regionalbusleistungen steigen. Nicht überall einheitlich, aber in einem Korridor. Das ist eine gesunde Entwicklung, schließlich sind auch die Kosten für Energie und Tariflöhne gestiegen. Insgesamt war die Entscheidung für den Wettbewerb richtig. Insbesondere regional verankerte Anbieter bieten eine gute Qualität bei vernünftigen Preisen.
Die LNO müssen immer mehr Verkehre in eigene Zuständigkeiten übernehmen. Hat der RNV-Regionalbus bald ausgedient?  
Ringat:
Im Gegenteil, im neuen RNVP haben wir 15 Schnellbus-Korridore identifiziert. Mit Königstein – Bad Homburg – Karben könnte die Pilotlinie Mitte 2014 starten.

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Interview von Ausgabe 3/14
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