„Halt nicht an jeder Milchkanne“

Die Erfolgsgeschichte von über 20 Jahren neuem Regionalbusverkehr wollen der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) und der Verkehrsverbund Oberelbe (VVO) fortschreiben, trotz mannigfacher Aufgaben. Reiner Zieschank, Vorsitzender der VDV-Landesgruppe Südost und Vorstand der Dresdner Verkehrsbetriebe (DVB), und Burkhard Ehlen, VVO- und Z-VOE-Geschäftsführer, sehen nicht nur Verkehrsunternehmen und Aufgabenträger in der Pflicht, sondern auch den Freistaat Sachsen und den Bund. Das Interview führte ÖPNV-aktuell-Chefredakteur Markus Schmidt-Auerbach. Im Auftrag der beiden Organisationen hat er am 28. Juni in Dresden eine Podiumsdiskussionen zum Thema moderiert.

Herr Zieschank, Herr Ehlen, am Donnerstag wollen Sie gemeinsam mit Landesverkehrsminister Sven Morlok (FDP) das Rechnergestützte Betriebsleitsystem (RBL) Ostsachsen in Betrieb nehmen. Aber danach fragen Sie in einer Podiumsdiskussion: „Wie weiter im Regionalbusverkehr?“ Das klingt einerseits nach Optimismus, andererseits nach Skepsis. Wo verorten Sie die Branche derzeit?

Reiner Zieschank: Der Regionalbusverkehr hat seit 1990 technisch und wirtschaftlich einen Quantensprung gemacht. Moderne Fahrzeuge und durchrationalisierte Unternehmen prägen heute weitgehend die Branche. Das RBL Ostsachsen ist ein weiterer Beitrag zur Modernisierung und unterstreicht das Ziel der Unternehmen, wirtschaftlich zusammen zu arbeiten und den Fahrgästen hohe Qualität zu bieten. Die Modernisierung wurde dabei vom Freistaat Sachsen entscheidend unterstützt. Angesichts der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte erfüllt uns die weitere Entwicklung allerdings mit Sorge, da den Unternehmen die finanzielle Planungssicherheit fehlt.

Gerade erst haben die Aufgabenträger im VVO-Zweckverband Z-VOE eine Tariferhöhung um satte 4,4 % beschlossen. Die Verkehrsunternehmen wollten die Abopreise sogar noch kräftiger steigern. Wie viele Jedermann-Kunden werden nun aufs Auto umsteigen?

Burkhard Ehlen: Gestiegene Kosten für Energie haben auch die Nutzung des eigenen PKW deutlich verteuert. Die Nutzung des Nahverkehrs wird nicht nur über den Ticketpreis entschieden. Wichtiger sind gute Rahmenbedingungen, Taktangebot und Qualität der Beförderung. In beiden Punkten stehen die Unternehmen und der Verbund gut da. Trotz maßvoller Tarifanpassung steigt die Nachfrage im Verbundraum. Das Jobticket erweist sich als das Angebot mit dem größten Zuwachs an Stamm­kunden. 

Die Gefahr einer Verkehrsverlagerung besteht dennoch. Wie wollen Sie einer solchen Entwicklung entgegensteuern?

Ehlen: Der VVO baut gemeinsam mit dem Freistaat und den Kommunen im Rahmen des Infrastrukturprogramms 2020 weitere P+R-Plätze. Die DVB AG plant neue Straßenbahnverbindungen, die überlastete Buslinien ersetzen und eine Verknüpfung mit der S-Bahn vorsehen. Mit einem guten und abgestimmten Angebot werden die Unternehmen weiterhin neue Fahrgäste gewinnen.

Um die demographische Entwicklung abzufedern, hat der Freistaat seine 45a-Mittel zugunsten der ländlichen Gebiete akzentuiert. Profitiert haben West- und Nordsachsen, der VVO hat dagegen schlecht abgeschnitten. Gleicht die höhere Kundennachfrage in Dresden und Umgebung dieses Minus beim 45a-Ausgleich doch mehr als aus?

Zieschank: Da allein die Dresdner Verkehrsbetriebe ca. 1,8 Mio. Euro pro Jahr einbüßen, sind dies keine „Peanuts“! Dazu kommt, dass steigende Fahrgastzahlen auch höheren Aufwand durch Taktverdichtungen bedeuten. Hinzu kommen Kostensteigerungen durch Energie und Löhne, das heißt, dass auch die Ballungsräume in einer wirtschaftlich angespannten Situation sind. 

Sollten höhere staatliche oder kommunale Zuschüsse den Trend umkehren, zum Beispiel durch eine aufgestockte Busförderung?

Zieschank: Die Busförderung ist in Sachsen deutlich reduziert worden. Standen vor 2010 noch 10 bis 15 Mio. EUR jährlich bereit, so sind es in diesem Jahr nur noch 5 Mio. EUR für ganz Sachsen. Die fehlende Fahrzeugförderung führt perspektivisch alleine bei der DVB AG zu jährlichen Mehrkosten von 2,4 Mio. EUR. Diese Kosten können nur in geringem Maße durch höhere Fahrpreise ausgeglichen werden. Alternativ werden die Busse länger eingesetzt. Allerdings bedeutet das dann höhere Werkstattkosten, und alte Fahrzeuge sind ein weniger attraktives Angebot für den Fahrgast. Vor diesem Hintergrund sollte der Freistaat seine Busförderpolitik überdenken.

Der Freistaat hat den Verkehrsverbünden Regionalisierungsmittel weggenommen, um den Citytunnel Leipzig zu finanzieren. Tariferhöhungen und Angebotskürzungen waren die Folge. Stimmt es, dass DB Netz anschließend Schadensersatz für abbestellte SPNV-Trassen verlangt hat? 

Ehlen: Es ist richtig, dass der Freistaat die ausgereichten Regionalisierungsmittel um über 30 Mio. EUR reduziert hat. Ob dieser Betrag in den Citytunnel fließt, kann ich nicht beurteilen. Zu Schadensersatz gegenüber DB Netz ist es bislang nicht gekommen. Die Abbestellungen haben allerdings zu Neuberechnungen bei Stations- und Trassenpreisen geführt, die zum Teil mit Kostensteigerungen verbunden waren. In Summe bleiben die anwachsenden Infrastrukturkosten eine große Herausforderung für uns, da sie über die Dynamisierung der Regionalisierungsmittel nicht ausreichend berücksichtigt werden. 

Für die ländlichen Räume fordert der neue Landesverkehrsplan Sachsen 2025 „flexible und kundenfreundliche Angebotsumstellungen von Eisenbahnverkehren zugunsten wirtschaftlicher Busverkehre oder alternativer Bedienformen zu prüfen“. Für das Gummirad klingt dies nach neuen Chancen. Oder überwiegen die Risiken?

Zieschank: Der Ersatz von Zügen durch Busse stellt eine Chance für den Busverkehr dar. Aber die Diskussion muss sinnvoll geführt werden. Die Stärken der Bahn sind schnelle Verbindungen zwischen zentralen Orten mit Halt an stark nachgefragten Stationen, nicht an jeder „Milchkanne“. Der Bus ist viel attraktiver, wenn Bahnstrecken und Bahnhöfe abseits der Besiedlung liegen. 

Ehlen: Auch ich bin der Meinung, dass wir auf absehbare Zeit nicht umhin kommen werden, in den politischen Gremien des Verkehrsverbundes über die Systemfrage Bahn oder Bus zu diskutieren. Allerdings benötigen wir Zeit für die Umstellung und die Hilfe des Freistaats bei den rechtlichen Fragen insbesondere hinsichtlich der Zweckbindung von geförderten Investitionen. 

Insgesamt soll die SPNV-Leistung in Sachsen jedoch steigen, von heute 37,90 Mio. auf 40,53 Mio. Zugkilometer im Jahr 2025 – trotz der regional und landesweit negativen Bevölkerungsentwicklung. Zu allen anderen Problemen gerät damit auch noch die Balance der Einnahmeaufteilung unter Druck. Wann wird das Gewicht zwischen Stadt und Land sic so weit verschoben haben, dass auch der VVO vor einer Zerreißprobe steht, wie sie derzeit andere Verbünde erleben?

Ehlen: Die Ausbauverträge zwischen dem Freistaat und der DB Netz AG sehen unter anderem für die S-Bahn-Systeme in Leipzig und Dresden umfangreiche Leistungsmehrungen vor. Weiterhin haben wir in Sachsen nach wie vor erhebliche Bestellungen zu schultern, die einstige Fernverkehre ersetzen müssen. Es ist wichtig, die Finanzierungskreisläufe zu stabilisieren, nicht nur zwischen Stadt und Land, sondern auch zwischen Bus und Bahn. Wir haben daher Maßnahmen ergriffen, unter anderem die Erarbeitung eines neuen Tarifsystems, die wir gemeinsam mit den Unternehmen umsetzen. Ich bin sicher, dass die Verkehrsverbünde in Deutschland einen wichtigen Beitrag für einen verträglichen Ausgleich zwischen Stadt und Land leisten können. 

Sogar in Hessen, dem „Musterland“ in Sachen ÖPNV-Ausschreibungen, erwartet die Landesregierung keine neuen Finanzierungsbeiträge aus dem Wettbewerb mehr, wie sie im Entwurf des neuen ÖPNV-Gesetzes festgehalten hat. Wird es im sächsischen SPNV daher eine Renaissance der Direktvergabe geben? Erste Ankündigungen im „TED“ hat es ja bereits gegeben.

Ehlen: Der VVO hat gute Erfahrungen mit dem Wettbewerb gemacht. Wir werden auch weiterhin konsequent auf SPNV-Ausschreibungen setzen. Die angekündigten Direktvergaben sind notwendig, um gemeinsame Ausschreibungen mit den benachbarten Aufgabenträgern zu ermöglichen beziehungsweise um den Zeitpunkt einer Ausschreibung zu harmonisieren bzw. zu optimieren.  

Reichen die Regionalisierungsmittel aus, die der Bund dem Freistaat gewährt und die der Freistaat an die Verbünde weiterreicht, um die bis 2025 geplante Angebotsausweitung zu bezahlen?

Ehlen: Das wird vor allem die Revision der Bundesmittel zeigen. Wir sind uns aber sicher, dass wir mit dem Freistaat Sachsen ein gutes Verhältnis zwischen Investition und Bestellleistung finden werden. Es nützt ja nichts, wenn die Strecken ausgebaut werden und dann nicht „bespielt“ werden können. 

Rhenus Veniro hat den sächsischen Landkreisen angeboten, ihre Verkehrsgesellschaften in einem Management- oder Betriebsführermodell nach dem Zwickauer Vorbild fit für die anstehenden Probleme zu machen. Im Landkreis Görlitz hat der Konzern zudem gezeigt, dass er auch im Regionalbus-Wettbewerb angreifen und einen etablierten Mitbewerber wie Veolia verdrängen und einen expansiven Mitbewerber wie DB Regio Bus abhängen kann. War dieses Pilotverfahren der Einstieg zu einem flächendeckenden ÖPNV-Wettbewerb in Sachsen? 

Zieschank: Nein. Das ist schon deshalb nicht zielführend, da die Kostenstrukturen auch der kommunalen Unternehmen in Sachsen extrem wettbewerbsfähig sind. Entsprechend wird verantwortliches Handeln der Tarifpartner und Aufgabenträger das Marktverhalten der Zukunft bestimmen. 

Herr Zieschank, wie beurteilen die sächsischen Kreisbusgesellschaften ihre Perspektive im Spannungsfeld von Konzernen und Mittelständlern, klammer Kassen und offener PBefG-Novelle?

Zieschank: Auch die Kreisbusgesellschaften haben sich bewährt. Auch sie müssen ihre Eigentümer genauso überzeugen wie Großkonzerne, allerdings leiden alle unter klammen Kassen und der reduzierten Fahrzeugförderung.

Ich komme noch einmal auf Hessen zurück. Dort drängt die Landesregierung jetzt auf eine stärkere Zusammenarbeit der Aufgabenträgerorganisationen, um Einkaufsvor­teile zu erzielen und Overheadkosten zu senken. Das deutlich kleinere Sachsen leistet sich fünf Verkehrsverbünde. Ist das angesichts der Herausforderungen der Haushalte und Märkte noch zeitgemäß?

Ehlen: Schon heute sind die Overheadkosten der Zweckverbände in Sachsen mit 1,8 % des Gesamtbudgets vergleichsweise gering. Dennoch ist die Diskussion zu einer Fusion der Zweckverbände bereits eröffnet worden. Derzeit führen der Zweckverband Verkehrsverbund Oberelbe (Z-VOE) und der Zweckverband Verkehrsverbund Oberlausitz-Niederschlesien (ZVON) konstruktive Gespräche zur Schaffung eines gemeinsamen Zweckverbandes für ganz Ostsachsen. Inwiefern dieses Vorgehen Modellcharakter für andere Regionen hat, können wir aber nicht entscheiden, ich bin aber davon überzeugt, dass sich die Position der Aufgabenträger insbesondere bei der Gestaltung des SPNV in größeren Organisationseinheiten verbessert. Der Freistaat hat zugesichert, dass er dem Thema offen gegenüber steht und es unterstützen wird, die Initiative dazu aber bei den Zweckverbänden sieht.

Personen & Positionen
Interview von Ausgabe 51/12
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