„Im ÖPNV kein ‚Wahlrecht auf Teufel komm raus‘"

Den neuen PBefG-Leitlinien von Staatssekretär Enak Ferlemann (CDU) haben die Bündnisgrünen ein parlamentarisches Nachspiel folgen lassen und den Vorgang sowie das vorangegangene BDO-Lobbying zum Gegenstand einer Kleinen Anfrage ihrer Fraktion gemacht. Inzwischen hat die Bundesregierung die Fragen beantwortet – und damit dem Mittelstand sehr zu seiner Zufriedenheit gezeigt, dass Ferlemann nicht nur eine persönliche Meinung artikulierte, sondern die neue, veränderte Rechtsauffassung des BMVI in Sachen AV darlegte. Dem LBO war dies sogar eine Jubel-Meldung wert. Doch wie stellt sich der Bundesverband zu den Vorwürfen des verdeckten Lobbyings durch die Opposition? Dazu hat BDO-Hauptgeschäftsführerin Christiane Leonard sich den Fragen von Chefredakteur Markus Schmidt-Auerbach gestellt. Das Gespräch drehte sich außerdem um die Konsolidierung im Fernbusmarkt sowie die Differenzen mit den Behindertenverbänden beim Lastenheft Barrierefreiheit.

Ist der BDO den Grünen dankbar für ihre „Kleine Anfrage“ zu den Ferlemann-Leitlinien?
Christiane Leonard: Die Bundesregierung hat in ihrer Antwort deutlich gemacht: Der Parlamentarische Staatssekretär hat gegenüber dem AK ÖPV nicht seine persönliche Einzelmeinung dargestellt, sondern die Rechtsauffassung des Bundesverkehrsministeriums wiedergegeben.
Und diese Rechtsauffassung hat sich inzwischen ausdrücklich geändert. Wir vom BDO hoffen, dass nun eine breite inhaltliche Diskussion über die Praxis der „Allgemeinen Vorschriften“ einsetzt, auch in den Landesbehörden, die für den PBefG-Vollzug zuständig sind.
Im Ringen um die PBefG-Novelle wurde ausdrücklich geprüft, ob der Gesetzgeber den Aufgabenträgern eine Pflicht zum Erlass „Allgemeiner Vorschriften“ auferlegt. Dieser schon ausformulierte Passus hat es aber nicht in den § 13 (2) geschafft. Worin sehen Sie diese Pflicht denn gleichwohl begründet?
Leonard: Ich erinnere mich gut daran, dass sich die kommunalen Spitzenverbände als Sprachrohr der Aufgabenträger bei der PBefG-Novelle mit Händen und Füßen gegen den Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit gewehrt haben, bis zum Schluss und teilweise auch darüber hinaus. Es überrascht daher nicht, dass auch fast zwei Jahre nach In-Kraft-Treten des Gesetzes hieran weiter festgehalten wird.
Aber auch hier gilt: Verwaltung ist in ihrem Handeln nie frei von Voraussetzungen. Sie muss die Rechtsgrundlagen beachten und dann ihr Ermessen richtig ausüben.
Deswegen gibt es bei der ÖPNV-Organisation kein „Wahlrecht auf Teufel komm raus“. Vielmehr muss die Verwaltung prüfen: Ist das favorisierte Mittel, zum Beispiel eine Ausschreibung, wirklich richtig? Gibt es andere Mittel? Eine Stadt oder ein Landkreis kann eine „Allgemeine Vorschrift“ deswegen nicht von vornherein ausschließen.
Das Problem tritt ja immer dann auf, wenn der Aufgabenträger teure Leistungen verlangt, etwa in der Bedienung oder bei den Tarifen, gleichzeitig aber ein Unternehmer einen eigenwirtschaftlichen Antrag nach § 13 (2) PBefG stellt – der aber nur beim Ausgleich der genannten Belastungen trägt. Warum sollte der Aufgabenträger in genau diesem Moment sein Füllhorn ausschütten?
Leonard: Wenn die öffentliche Hand Pflichten auferlegt, muss sie diese auch ausgleichen. Sie darf diesen Ausgleich aber nicht dazu nutzen, um durch die Hintertür einen Systemwechsel zur Gemeinwirtschaftlichkeit herbeizuführen. Ein genehmigungsfähiger eigenwirtschaftlicher Antrag hat nach deutschem Recht Vorrang. Verweigert die öffentliche Hand grundlos die Allgemeine Vorschrift, hat der Unternehmer Anspruch auf seinen Haustarif.
Wird der BDO über die kürzlich im Münsterland geführte Klage weitere Musterverfahren führen?
Leonard: Wir führen hier keine Musterverfahren. Aber wir raten bundesweit jedem Betroffenen, bei seinen Anträgen den Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit einzufordern – notfalls vor Gericht.
Hat der BDO verdeckt und intensiv die Möglichkeit gehabt, Einfluss „auf die Rechtsauffassung des BMVI einzuwirken“, wie Ihnen die Grünen in ihrer „Kleinen Anfrage“ vorwerfen?
Leonard: Leider müssen wir zurzeit feststellen, dass bundesweit allein durch die grundsätzliche Weigerung zahlreicher Aufgabenträger, Allgemeine Vorschriften zu erlassen, um eigenwirtschaftliche Verkehre überhaupt erst zu ermöglichen, reihenweise private Mittelständler aus dem Markt gedrängt werden.
Wir würden einen schlechten Job machen, wenn wir solche Missstände nicht öffentlich machen und bei unseren Gesprächen im politischen Berlin auch immer wieder ansprechen würden. Wir machen das aber keineswegs heimlich.
Hierfür gäbe es auch keinen Grund. Der BDO wurde schließlich einmal genau zu diesem Zweck gegründet, nämlich um die Interessen des privaten Omnibusgewerbes in Deutschland zu vertreten. Und zwar auf der Grundlage der deutschen Verfassung. Ihrem Schutz unterliegt das deutsche Verbändewesen. Dies betrifft Sozialverbände, Gewerkschaften wie auch Wirtschaftsverbände gleichermaßen.
Ich finde es eher beunruhigend, dass es immer mehr tatsächlich „heimlichen Lobbyismus“ in der Bundesrepublik gibt.
Was meinen Sie damit?
Leonard: Längst haben sich Heerschaaren von Verkehrsberatern und Anwaltskanzleien auf den Weg in die Staatskanzleien, Verkehrsministerien und in die Verwaltungsbehörden der Länder gemacht. Dort beraten sie auch in politischen Fragen. Gehen ein und aus.
Gut verdienen können diese „heimlichen Lobbyisten“ aber nur, wenn Beratungsbedarf generiert wird. Mit Genehmigungswettbewerb um eigenwirtschaftliche Verkehre ist da nicht viel zu holen, denn das kennt man vor Ort und bekommt es auch alleine hin.
Bei einer Systemumkehr von der Eigenwirtschaftlichkeit hin zur Gemeinwirtschaftlichkeit, meist verbunden mit flächendeckenden Fahrleistungsausschreibungen, sieht das schon anders aus. Das schüttelt ein Aufgabenträger nicht so einfach aus dem Ärmel. Da braucht man schon einen Berater. Wie passend, dass der schon da und bei der Ausführung auch gerne behilflich ist.
Diese Entwicklung kann aber nicht auf dem Rücken der kleinen und mittelständischen Omnibusunternehmer ausgetragen werden. Ich bin daher froh darüber, dass das BMVI mit dem Schreiben von Staatssekretär Ferlemann noch einmal deutlich gemacht hat, wie wichtig die mittelstandsfreundliche Auslegung dieses Gesetzes für den deutschen ÖPNV ist.
Bleiben wir beim Thema Eigenwirtschaftlichkeit, aber wechseln wir die Baustelle: Mit ADAC, Deinbus und Steinbrück ziehen sich drei weitere prominente Akteure ganz oder teilweise aus dem Fernbusmarkt zurück. War der Erfolg der neuen, dritten BDO-Säule nichts weiter als ein Strohfeuer?
Leonard: Im Gegenteil, die Fahrgastzahlen steigen und steigen. Der jüngste GDL-Streik hat zudem deutlich gezeigt: Der Fernbus wird zunehmend auch von Geschäftsreisenden als Mobilitätsalternative genutzt. Mit einer Marktbereinigung haben Experten schon immer gerechnet.
Auch wenn sich die Zahl auf Anbieterseite verändert, ist weiter Dynamik im Markt. Sobald das Preisniveau hochgeht, kommt der eine oder andere wieder zurück. Oder kommt neu auf den deutschen Markt. Deswegen bin ich sicher: Der Fernbus wird ein dynamischer Markt bleiben.
Leider ist es dem Mittelstand bislang nicht gelungen, eine eigene Kooperation zu etablieren. Persönlich hätte ich das der Branche sehr gewünscht. Aber immerhin partizipieren unsere Mitglieder über die Portale/Verbundsysteme und Kooperationsmodelle von der Liberalisierung.
Der Behindertenverband BSK hat Ihnen und dem RDA ein Papier zu den „zehn häufigsten Irrtümern“ zur Barrierefreiheit um die Ohren gehauen. Hat das „Lastenheft barrierefreier Fernbus“ noch eine Chance?
Leonard: Wir sind weiterhin gesprächsbereit. Bislang war der BSK mit der Koordinierung des „Runden Tisches Barrierefreiheit“ beauftragt, hat dafür auch Gelder der Aktion Mensch erhalten und diese Aufgabe auch gut gemanagt.
Man kann aber schlecht in einem Atemzug Schiedsrichter und Mittelstürmer sein. Diese Rolle hat der BSK mit seinem öffentlichen Thesenpapier aber jetzt übernommen. Gemeinsam mit dem RDA und dem VDA hatten wir das BMVI schon zuvor aufgefordert, die weitere Koordination des Dialogs Barrierefreiheit zu übernehmen.
Darin sehen wir uns durch die jüngste Entwicklung bestärkt. Der Bund hat die Barrierefreiheit in das PBefG hineingeschrieben, nun darf er sich nicht aus der Verantwortung stehlen, weder organisatorisch noch finanziell. Barrierefreiheit ist ein Auftrag der gesamten Reisekette. Diese Aufgabe darf nicht als erstes und allein dem Benjamin der Branche, dem Fernbus, aufgebürdet werden.

Personen & Positionen
Interview von Ausgabe 47/14
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