„Kanzlerin und Kanzlerkandidat sind eindeutig"

Nach der Bundestagswahl erwartet der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) zügig Entscheidungen der Politik zur Finanzierung des Nahverkehrs in der Fläche, in den Ballungsräumen und der Infrastruktur. Gleichwohl rät Verbandspräsident Jürgen Fenske, manches Projekt auf seine Sinnhaftigkeit zu prüfen. Im Interview von „ÖPNV aktuell" stellte sich der Vorstandsvorsitzende der Kölner Verkehrsbetriebe (KVB) den Fragen von Chefredakteur Markus Schmidt-Auerbach.

In diesen Tagen hat Hochwasser in vielen Teilen Deutschlands unter anderem Betriebshöfe im Nahverkehr, Haltestellen und Gleise überspült. Alle Parteien versprechen, nach der Wahl mehr Mittel in die Verkehrsinfrastruktur zu investieren. Wird der versprochene Geldsegen nun in einen verbesserten Hochwasserschutz umgeleitet?

Jürgen Fenske: Nein, mit der notwendigen Solidarität der Geschädigten der fürchterlichen Hochwasserflut werden wir ganz sicher nicht konkurrieren. Wir registrieren aufmerksam, dass alle Parteien den Rückstand unserer Verkehrsinfrastruktur abstellen wollen. Mängel an Deichen, bröselnde Bahn- und Autobahnbrücken, aber auch die Stilllegung von Straßenbahnstrecken zeigen: Deutschland kann nicht länger von der Substanz leben. Wir brauchen rasch Entscheidungen über die Fortführung der Finanzierungsprogramme.

Die großen Lager blockieren sich derzeit gegenseitig in Bundesrat und Bundestag. Wenn nach der Wahl ein ehrlicher Kassensturz gemacht worden ist, werden sich die heutigen Beteuerungen dann als Lippenbekenntnis herausstellen?

Fenske: Die PBefG-Novelle hat gezeigt, dass das Notwendige parteiübergreifend vereinbart werden kann. Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass die Politik das Heft bald auch in puncto Verkehrsinfrastruktur in die Hand nimmt – im Interesse der Fahrgäste und damit der Wähler. Denn die Erklärungen der Parteien, der Kanzlerin und des Kanzlerkandidaten sind klar und eindeutig. Allerdings müssen aus Worten zügig nach der Bundestagswahl Taten werden. Die Stichworte sind: Höhe der Entflechtungsmittel bis 2019, Fortführung des Bundes-GVFG ab 2019, Regionalisierungsmittel, LuFV. Wir kämpfen mit einer großen Planungsunsicherheit – und die lähmt eine ganze Reihe von dringend notwendigen Vorhaben. Besonders in den Ballungsräumen sind die Kapazitätsgrenzen erreicht. Das Infrastruktur-Thema ist erfreulicherweise nicht mehr nur ein politisches Fachthema, es ist längst bei den Bürgern und in der Gesellschaft angekommen. Wir hoffen sehr, dass die neue Bundesregierung die kurz nach der Wahl vorliegenden Vorschläge der Bodewig-Kommission aufgreift und zügig umsetzt. Eine gute Infrastruktur ist die Basis für Wirtschaftskraft und Wohlstand in unserem Land.

Wenn Geld für den Verkehr fließt, fließt es womöglich vorzugsweise in andere Verkehrsträger, speziell für die Straße. Wie wirbt der VDV für einen Akzent im öffentlichen Verkehr?

Fenske: Wenn eine neue Koalition es ernst meint mit einer klimafreundlichen Mobilität, kommt sie am Nahverkehr nicht vorbei. Verkehr ist ein Gesamtsystem. Deshalb muss der Kreislauf heißen: „Verkehr finanziert Verkehr", und nicht „Auto finanziert Auto". Das Ausspielen der Verkehrsträger gegeneinander führt in die Irre. Ein Beispiel: Wir wünschen uns den Ausbau der Elektromobilität. Aber für Elektroautos die Busspuren zu öffnen, ist der falsche Anreiz. Wenn alle im Stau stehen, Busse, Taxis, Elektroautos auf der einen und Pkw auf der anderen Spur, ist das verkehrlich unsinnig. Auch zeigt der demografische Trend: Die Menschen zieht es wieder in die Städte. Wenn die Menschen dort mobil bleiben wollen, müssen wir dringend die Nahverkehrsmobilität stärken. Der Nahverkehr ist das Rückgrat für eine multimodale Mobilität – dort liegen Chancen für die Gesellschaft, aber auch für unsere Branche. Nur durch Verlagerung und gleichzeitige Vernetzung bekommt man die Klima-, Umwelt- und Lärmprobleme im Verkehrssektor gelöst. Die Energiewende braucht auch eine Verkehrswende.

Im Grundsatz wird die Politik Ihnen Recht geben – im konkreten Fall dann aber doch auf die örtlichen Details verweisen. Das süße Gift des GVFG oder der RegMittel habe so manchen Aufgaben- und Vorhabenträger verlockt, verkehrlich unsinnige Anlagen zu bauen oder Betriebsleistungen zu bestellen, sagen Kritiker. Wie begegnen Sie dem?


Fenske: Vor dem Hintergrund der Finanzkrise muss man sicher hinter das eine oder andere Projekt drei Fragezeichen setzen. Ist die Schiene wirklich immer die bessere Wahl, tut es vielleicht nicht auch ein Bus? In der Auswahl der Projekte sollen und müssen wir uns von Wunschzetteln verabschieden. Ungeachtet dessen braucht es unbestritten mehr Geld für die Infrastruktur.

Themenwechsel: Der VDV versteht sich als Fach- und Branchenverband. Jetzt hat das Präsidium ein Positionspapier zur Tariftreue verabschiedet. Warum?

Fenske: Es geht uns um faire Wettbewerbsbedingungen, aber auch den Schutz der Arbeitnehmer. Angesichts weiterer Restrukturierungen und vor dem Hintergrund des Sparzwangs der öffentlichen Hände ist das ein wichtiges Anliegen. Wir brauchen gute Mitarbeiter, wollen und müssen auch in Zukunft attraktive Arbeitgeber bleiben. In den nächsten Jahren treten Tausende Beschäftigte in den Verkehrsunternehmen in den Ruhestand und die Stellen werden neu besetzt. All das soll nicht unter Lohn- und Sozialdumping erfolgen. Mit unserer Tariftreuestrategie unterstützen wir auch die Vorgaben und Ziele der EU-Verordnung 1370/07. Die Vorgabe repräsentativer Tarifverträge halten wir dabei für ein Kernelement.

Nordrhein-Westfalen hat einen solchen Standard bereits eingeführt – aber dabei den vom NWO ausgehandelten Tarifvertrag nicht anerkannt. Ist die VDV-Position zur Tariftreue ein Instrument, um die Privaten aus dem Markt zu drängen?

Fenske: Im Gegenteil. Wir bekennen uns in unserer Erklärung ganz klar zur Tarifautonomie. Und dazu, für Tariftreueregelungen in den Ländern regionale und branchenmäßige Unterschiede angemessen zu berücksichtigen. Keinesfalls darf dies dazu führen, dass für unsere Branche einschlägige und so namhafte Tarifverträge wie der TV-NWO verdrängt werden.

Die VDV-Statistiken zeigen, dass der ländliche Raum, aber auch Städte bis 100.000 Einwohner mit erheblichen Fahrgastrückgängen kämpfen. Prominente VDV-Mitglieder treten inzwischen offen dafür ein, die bestehenden Finanzierungssysteme nicht nur zu sichern, sonder stärker auf gemeinwirtschaftliche Leistungen umzustellen. Macht das Sinn? Ihre Kollegen in Rheinland-Pfalz beispielsweise sind der Überzeugung, ohne höhere 45a-Mittel müssten entweder die Preise massiv heraufgesetzt – oder werden aber das Angebot eingeschnitten werden.

Fenske: Die Stadt-Land-Spreizung vergrößert sich, wir haben daher vor einem Jahr eine „Task Force" eingerichtet, die sich intensiv mit Finanzierungsfragen beschäftigt. Klar ist: Die öffentliche Hand bleibt auch in Zukunft im Rahmen der Daseinsvorsorge gefordert. Das wird ein Schwerpunktthema auf der diesjährigen VDV-Jahrestagung.

Die EU-Kommission will die Spielräume in der von Ihnen erwähnten Verordnung 1370/07 einengen. Entsprechende Vorschläge hat sie im 4. Eisenbahnpaket und in so genannten Leitlinien formuliert. Wie geht es damit weiter?

Fenske: Noch liegen nur wenige Erfahrungen mit dem novellierten PBefG und der Verordnung 1370/07 vor. Nach Jahren der Rechtsunsicherheit müsste sich unsere Branche erneut auf eine Zitterpartie einstellen. Tatsache ist doch, dass sich die Branchenstruktur in Deutschland bewährt hat und eine hervorragende Qualität zu vertretbaren Kosten für die Fahrgäste und die öffentliche Hand bietet. Wir appellieren daher an die Kommission, von ihren Plänen abzulassen. Auf unserer Jahrestagung werden wir dem Vertreter der Brüsseler Behörde dies deutlich erneut mit auf den Weg geben.

Personen & Positionen
Interview von Ausgabe 47/13
Interview von Ausgabe 47/13