„Speckgürtel werden sich für Busverkehrssysteme erwärmen“

Dr. Christoph Groneck arbeitet als Verkehrsplaner im Referat Wirtschaftsförderung und Strategische Kreisentwicklung des Rhein-Sieg-Kreises (Siegburg); Foto: privat

Christoph Groneck ist Experte für französische Straßenbahnsysteme und BRT-Systeme, die er aber lieber Busverkehrssysteme nennt. Angesichts des Klimawandels und der Verkehrsprobleme hofft er darauf, dass mehr und mehr Ballungsräume ihr Augenmerk auf diese Alternative richten. Das Gespräch mit dem Verkehrsplaner führte NaNa-Brief-Chefredakteur Markus Schmidt-Auerbach.

NaNa-Brief: Deutschland ist ein Weltchampion bei der Busherstellung, aber bei BRT zuckeln wir hinterher. Warum?

Christoph Groneck: Die ersten Systeme dieser Art entstanden in Schwellenländern wie Kolumbien oder Brasilien. In Europa gehört der Metrobus Istanbul in diese Kategorie. Alle diese Beispiele übernehmen Aufgaben von Hochleistungsverkehrssystemen. Dafür gibt es bei uns bereits S-Bahnen, U-Bahnen und Stadtbahnsysteme. Die Notwendigkeit für BRT wurde bei uns daher lange nicht erkannt. Außerdem: Für die Verkehrsprobleme in deutschen Ballungsräumen sind die bislang aufgezählten BRT-Systeme weniger gute Vorbilder.

NaNa-Brief: Wie müsste sich ein deutsches BRT-System von den genannten Beispielen unterschieden?

Groneck: Bei uns geht es um eine Alternative zum Premiumangebot Pkw. Der französische Begriff „Bus à haut niveau de service“ (BHNS) beziehungsweise Bus mit hoher Servicequalität trifft es eigentlich ganz gut. Während bei BRT Kapazitätsmaximierung und Beschleunigung im Vordergrund stehen, muss es hierzulande die Verbesserung der Angebotsqualität sein. Eine eigene Infrastruktur gehört unbedingt dazu, um den Stau auf der Straße zu umfahren. Aber deutsche Busverkehrssysteme brauchen noch mehr: attraktive Haltestellen ebenso wie eine angenehme Reisequalität. Zu 120 Prozent ausgelastete Massenverkehrsmittel sind auf unseren Verkehrsmärkten kontraproduktiv.

NaNa-Brief: Regensburg, Erlangen, Wiesbaden – es fällt aber schon auf, dass jetzt immer mehr deutsche Städte und Ballungsräume sich für BRT zumindest interessieren oder, wie Ludwigsburg, sogar die Weichen dafür stellen. Wo können Sie Vorbilder finden?

Groneck: An erster Stelle sind hier französische Städte wie Metz, Nantes oder Straßburg zu nennen. Teilweise dienen Busverkehrssysteme dort der Ergänzung von Straßenbahnnetzen auf weniger stark frequentierten Korridoren, in kleineren Städten auch als ÖPNV-Hauptverkehrsmittel. Aber auch die Niederlande haben mit der Zuidtangent ein hervorragend funktionierendes Busverkehrssystem im Amsterdamer Süden aufgebaut. Großbritannien kennt ebenfalls einige Beispiele, Luton etwa oder Cambridge. Teilweise setzt man dort auf Spurbusse …

NaNa-Brief: … also auf eine Beschleunigung, mit der man auch in Deutschland Erfahrungen sammelte. Aber nach und nach sind hierzulande alle Projekte aufgegeben worden. Nur Essen hält daran fest, wenn auch nur noch an einer einzige Linie.

Groneck: Ja, und dies entspricht auch dem weltweiten Trend. Busverkehrssysteme setzen heute normalerweise auf handgelenkte Busse auf eigener Trasse, aber Sonderlösungen der Spurführungen sind passé. In Caen zum Beispiel wurde unlängst der TVR, ein gummibereiftes Mischsystem aus Straßenbahn und Bus, auf konventionelle Straßenbahn umgestellt. In Großbritannien spielen neben verkehrlichen Überlegungen aber auch ordnungspolitische Gründe eine wichtige Rolle bei den dortigen Spurbussystemen, konkret die Deregulierung des ÖPNV: Hürden zum Infrastrukturzugang sind, anders als bei einem Stadtbahnsystem, relativ niedrig. Leistungsfähigkeit, Schnelligkeit und Wettbewerb lassen sich so kombinieren. Ob dadurch stets die beste Lösung für den Fahrgast entsteht, darf aber durchaus hinterfragt werden.

NaNa-Brief: Wann scheitern Busverkehrssysteme?

Groneck: Sagen wir es so: Es gibt mehr und weniger erfolgreiche Städte. Busverkehrssysteme erfordern immer ein systemisches Herangehen: Fahrzeug, Infrastruktur, Betrieb, Marketing und Tarif müssen zusammengedacht und gemeinsam umgesetzt werden. Die Niederländer sind sogar noch einen Schritt weitergegangen und haben die Stadtentwicklung einbezogen. Gegenüber vorhergehenden „normalen“ Busverkehren gab es überall deutliche Fahrgaststeigerungen, und in vielen Fällen liegen die Fahrgastzahlen über den Prognosen. Wenn es Kritik gibt, dann eher wegen der Frage: „Warum haben wir nicht gleich ein Bahnsystem gebaut?“ Denn klar ist aber auch: Ein Busverkehrssystem ist nicht die bessere, weil preisgünstigere Straßenbahn. Sinnvolle Einsatzgrenzen werden durch die im Vergleich zu schienengeführten Systemen geringere Kapazität vorgegeben. Auch die stadtgestalterischen Möglichkeiten sind im Vergleich zu Bahnsystemen mit Rasen- oder Pflastergleisen eingeschränkt, letztendlich braucht es immer eine breite Asphalt- oder Betonfahrbahn.

NaNa-Brief: Was haben die weniger erfolgreichen Systeme versäumt?

Groneck: Die Stärke des Omnibusses, seine Flexibilität, ist auch seine Schwäche. Wo man sich nicht traut, Flächen durchgehend und exklusiv für Busverkehrssysteme herzugeben, schwimmt der Bus im Autoverkehr mit. Beziehungsweise er steckt darin fest. Städte, die noch eine Straßenbahnkultur haben oder sich zumindest eine solche Kultur bewahrt haben, tun sich mit erfolgreichen BRT-Systemen deutlich leichter. Im Umkehrschluss lässt sich auch feststellen: Im Regionalverkehr hat BRT es schwer. Die Zuständigkeiten sind sehr weit verteilt. Für Haltestellen, für die Anpassungen an den Straßen, für die Finanzierung des Betriebs sind jeweils andere Stellen verantwortlich. Aber auch die Speckgürtel werden, so hoffe ich zumindest, sich mehr und mehr für die Vorteile von Busverkehrssystemen erwärmen. (msa)

Infos zur BRT-Tagung in Frankfurt am 8. Oktober 2019

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Artikel Redaktion Bus&Bahn
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