„Wer meint, er kann es, soll es probieren“

Ob es nun drohende Remanenzkosten sind, die Frankfurt am Main zum Umdenken seiner ÖPNV-Vergaben in Richtung „Frankfurter Weg 2.0“ bewogen haben, ob es die Angst vor einem neuen Busmonopol war oder einfach Fürsorge für die ICB-Busfahrer, wissen wir nicht. Fest aber steht: Einen Betriebsübergang hat Traffiq nicht bestellt – und die DB demzufolge auch nicht einkalkuliert, wie Busvorstand Michael Hahn erläutert. Er ist aber bereit dazu, hier wie in anderen Wettbewerbsverfahren. Zusätzlich wünscht sich der Manager, dass auch Mittelständler, die den verkehrsroten Riesen eigenwirtschaftlich angreifen, soziale Mindeststandards einhalten müssen. In Helmut Diener vom gewerkschaftsnahen Verein für fairen Wettbewerb in der Mobilitätswirtschaft (Mobifair) hat er einen Unterstützer gefunden. Fragen dazu stellte Chefredakteur Markus Schmidt-Auerbach.

Herr Hahn, aus Ihrem Büro in der Frankfurter DB-Hauptverwaltung können Sie auf die Busse der Linie 46 herabblicken, die der verkehrsrote Konzern schon heute bedient. Nach dem Zuschlag im „Bündel B“ werden bald noch mehr DB-Fahrzeuge im subaru-vista-grünen Farbkleid durch die Mainmetropole rollen. Stimmt es, dass Sie sich verkalkuliert haben und deswegen Führungskräfte bei BVH, dem Busverkehr Hessen, ihren Hut nehmen mussten?
Michael Hahn: Nein, wer erzählt so was?
Das Gerücht geht unter den Fahrern der VGF-Tochter ICB um, die dieses Bündel bislang im Auftrag von Traffiq bedient.
Hahn: Auch ich will es gerne betonen: Wir haben in Frankfurt mit Gewinnmarge kalkuliert und freuen uns darauf, unser Geschäft in Frankfurt deutlich auszubauen. Standardmäßig wird nach dem ersten Jahr nachkalkuliert, derzeit funktioniert es.
Wie ist der Stand der Verhandlungen mit der VGF und der ICB um Werkstattkapazitäten und Subunternehmerleistungen?
Hahn: Schwierig, um nicht zu sagen: Diese Gespräche stocken. Die Preiserwartungen decken sich nicht mit unseren Kalkulationen, denn in der Ausschreibung war kein Betriebsübergang vorgesehen.
Die ICB-Fahrer, mit denen ich gesprochen habe, zeigten wenig Neigung zum Wechsel. Aus Verbundenheit mit ihrem bisherigen Arbeitgeber, aber auch, weil sie ansonsten Lohneinbußen zu beklagen hätten. Herr Diener, wie beurteilen Sie solche Ausschreibungen?
Helmut Diener: Soweit keine Sozialkriterien vorgegeben werden, sind Ausschreibungen immer unfair. Ein Fahrer, der nichts falsch gemacht hat, kann bei jeder Ausschreibung seinen Arbeitsplatz verlieren, bekommt einen Bus in einer anderen Farbe – und einen Arbeitsvertrag, in dem seine Betriebszugehörigkeit und sonstige Ansprüche alle auf Null gestellt sind. Das ist nicht in Ordnung. In der laufenden EU-Diskussion um eine Präzisierung des Vergaberegimes setzen wir uns daher dafür ein, aus der Kannvorschrift des Betriebsübergangs eine Mussvorschrift zu machen.
Wenn Berufsanfänger sich auf den Linien und im Tarif nicht auskennen, wenn sie Spiegel abfahren und bald wieder das Handtuch werfen, wird das auch für die DB teuer. Wäre es da nicht sinnvoll, die Besitzstände der ICB-Fahrer zu übernehmen, Herr Hahn?
Hahn: Wir zahlen genauso wie andere Anbieter nach LHO-Tarif, haben natürlich auch Schulungs- und Einweisungskosten in unser Angebot eingerechnet. Aber diese Summe gibt es nicht her, auch Sozialkosten in dem von Ihnen genannten Umfang zu finanzieren. Das muss gemäß Ausschreibung vorab sorgfältig kalkuliert werden.
In Frankfurt wird jetzt – auch aus Sorge um die ICB-Belegschaft – um einen „Frankfurter Weg 2.0“ diskutiert. Ein Marktregime aus Direktvergabe Schiene + Wettbewerb Bus + jetzt neu: Direktvergabe Bus würde Ihre Marktchancen natürlich begrenzen. Hätte sich der Aufgabenträger aus Ihrer Sicht vielleicht dem Thema Sozialstandard intensiver widmen sollen?
Hahn: Bei Farben und technischen Merkmalen kennt der Regulierungsbedarf vieler Aufgabenträger kein Ende, Sozialstandards stehen nicht so im Fokus. Ein Betriebsübergang nach § 613a BGB ist auch in Frankfurt machbar.
So ein „Rucksack“ kostet aber Geld. Wir haben das unterschiedlichen Aufgabenträgern einmal spitz ausgerechnet und damit zur Entkrampfung der Diskussion zwischen Sozialpolitikern und Kämmerern in den Kreistagen beitragen können. In der Vorderpfalz ist uns dies bereits gelungen.
Die Vorgaben von Traffiq haben übrigens erheblich zur Marktberuhigung beigetragen. Im Unterschied zu anderen hessischen Regiegesellschaften wird nicht nur ein Lohnniveau vorgegeben, sondern Traffiq trägt auch Veränderungen im Manteltarif mit.
Diener: Auch Mobifair will ran an die Aufgabenträger. Wir haben einen ÖPNV-Vergabeleitfaden in Planung, analog zu unserem 2010 vorgelegten SPNV-Vergabeleitfaden. Wir arbeiten hier wieder mit dem Frankfurter Vergabeanwalt Wolfgang Trautner zusammen.
Eine zentrale Aufgabe ist es, auf der Schiene wie der Straße, die Möglichkeiten der EU-Verordnung 1370/07 mit dem deutschen Vergaberecht des GWB zu koppeln. Es bleibt aber die Frage: Wer überwacht die Zusagen der Bieter, wer sanktioniert Verstöße? Papier ist geduldig, was für die Arbeitnehmer zählt, ist die tatsächliche betriebliche Praxis.
Herr Hahn, Sie sprechen „andere hessische Aufgabenträger“ an. Im NVV-Bündel „Kassel plus Nord“ sollen Sie dem Vernehmen nach etwa 30 Cent teurer als der private Bestbieter rangieren. In anderen Regionen, etwa dem Saarland oder dem nördlichen Rheinland-Pfalz, verabschiedet sich die DB aus dem Geschäft, weil sie sich nicht (mehr) zu eigenwirtschaftlichen Anträgen in der Lage sieht – im Gegensatz zu örtlichen Mittelständlern. Sehen Sie die mitbestimmte DB durch eine lasche Überwachungs- und Sanktionspraxis im Wettbewerb?
Hahn: Auch wenn ich mich wiederhole: Einheitliche Mindeststandards sind eine zentrale Wettbewerbskomponente. Globale Konzerne spielen derzeit ja kaum noch eine Rolle im deutschen ÖPNV. Der Mittelstand macht uns zu schaffen, keine Frage. Aber wir haben aufgeholt: 2013 betrug unsere Gewinnquote rund 30 Prozent, im Vorjahr lag sie noch bei 22 Prozent. In der Tat werden eigenwirtschaftliche Verkehren immer schwieriger. Die Kosten laufen gegen die Erlöse, und die sinken infolge der demografischen Entwicklung rapide. Wenn andere meinen, sie können es, sollen sie es probieren.
Wie findet es der alte DB’ler Diener, wenn „sein“ Konzern aus dem Geschäft fliegt?
Diener: Professionell gesehen, geht jeder Betreiberwechsel in Ordnung – wenn er fair vonstatten geht. Das heißt zum Beispiel, dass dem Angebot ein repräsentativer Tarifvertrag zugrunde liegt. Deswegen ist Mobifair über entsprechende Vorgaben in den Landestariftreuegesetzen froh. Wichtig ist aber auch, dass dieser Standard über die gesamte Konzessions- oder Vertragslaufzeit zuverlässig eingehalten wird.
Die demografische Entwicklung drückt nicht nur auf die Erlöse, sondern verteuert auch den Produktionsfaktor Arbeit. Warum rufen Sie nach dem Staat? Wäre es nicht sinnvoller, auf den Markt zu vertrauen und die Tarifpartner?
Hahn: Öffentliche Dienstleistungsaufträge sind ein gutes Mittel, um die Verkehre auch in den Zeiten des demografischen Wandels abzusichern. Aber die starren Kalkulations- und Vertragsvorgaben verzögern auch die Anpassung der Lohntarife an die Marktentwicklung. Die Vorgabe von Betriebsübergängen oder branchentypischen Lohnindizes sind gute Mittel, damit wir gutes Personal in der Branche halten. Das liegt im gemeinsamen Interesse von Aufgabenträgern, Verkehrsunternehmen und Beschäftigten.
Bei Ihren Mitbewerbern gibt es die Einschätzung, dass die DB das Thema „Sozialstandard“ wie eine Monstranz vor sich herträgt, wo sie selbst im Sattel sitzt, es ihr also nützt – aber dort, wo sie selbst angreift, eine andere Strategie zeigt. Das lasse sich aus Ihren Bieterfragen in Verfahren ablesen, die einen Betriebsübergang vorsehen. Was ist dran?
Hahn: Wir müssen diese Vorgabe sehr genau kalkulieren, brauchen Sicherheit. Deswegen fragen wir in Verfahren wie Zwickau oder Spree-Neiße genau nach. Andere Marktteilnehmer mit Interesse an diesen Aufträgen nehmen es mit ihren Verpflichtungen gegenüber ihren künftigen Arbeitnehmern vielleicht nicht so genau. 

Personen & Positionen
Interview von Ausgabe 16/14
Interview von Ausgabe 16/14