„Wir stärken massiv die lokale Kompetenz“

Die Deutsche Bahn (DB) setzt in ihrer Bussparte künftig auf größere Einheiten, so genannte Regionen. Bedeutet das den Abschied von den jahrzehntelang geförderten dezentralen Strukturen, nah an den Aufgabenträgern? Wie will der Konzern ein wettbewerbsfähiges Kostenniveau erreichen, bedeutet die aktuelle Organisationsreform einen Personalabbau? Und was wird aus den sogenannten Kompetenz-Centern und den mittelständischen Partnern? DB-Busvorstand Michael Hahn antwortet auf Fragen von Markus Schmidt-Auerbach, Chefredakteur von ÖPNV aktuell.

Sehr geehrter Herr Hahn, Sie haben die neue Spartenorganisation in einer weiteren Region etabliert. Ab sofort gibt es auch im Norden einen für mehrere Altgesellschaften zuständigen „Mister Produktion“, „Mister Finanzen“, „Mister Marketing“ und „Mister Personal“. Wie geht es mit dem neuen Organisationsmodell weiter? 

Michael Hahn:
Bis Herbst 2013 werden wir die Blaupause unserer Organisation in allen acht Regionen ausgerollt haben. NRW war die erste Region, Rhein-Neckar die zweite. Jetzt folgen Nord, Südwest, Nordost/Südost, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern.

Mehr als zwanzig Jahre hat die DB im Busgeschäft auf dezentrale GmbH-Strukturen geschworen. Dann wurden Hausfarben durch das Verkehrsrot des Konzerns ersetzt und die GmbH’en zu Regionen zusammengefasst. Warum drehen Sie weiter an der Zentralisierungsschraube? 


Hahn:
Wir drehen nicht an der Zentralisierungsschraube. In der Gruppe haben wir in diesem Jahr etwa 100 wichtige Genehmigungs- und Wettbewerbsverfahren vor uns, gegenüber 70 im Jahr 2012 und 40 im Jahr 2011. Auch sind wir kostenmäßig noch nicht dort, wo wir angesichts von Wettbewerb und demografischer Entwicklung sein müssten. Und wir haben vor, in weißen Flecken auf unserer Landkarte zu expandieren. Für diese drei Aufgaben müssen wir den Know-how-Transfer stärken – und dies innerhalb der Region und in der Zusammenarbeit von Region und Zentrale. Das ist ein Kernanliegen der neuen Struktur. Wir müssen schneller als bisher auf den Markt reagieren können. Dafür brauchen wir schnell ein Meinungsbild über die ganze Gruppe. Organisiert wird dieser Austausch zum Beispiel über so genannte X-Leiter-Runden. Die Variable X wird jeweils durch Produktion, Marketing, Personal und Finanzen ersetzt.

Aber Sie haben doch vor einigen Jahren Kompetenzcenter (KC) eingeführt, zum Beispiel für Fahrzeugstandards, RBL-Systeme oder Dienstplansoftware! Haben diese sich nicht bewährt? 

Hahn:
Sie haben sich als zu unverbindlich und schwergängig erwiesen.

Busverkehr ist ein lokales Geschäft, bis hinunter zu den Gemeinden, die über Orts- oder Schulverkehre mitentscheiden. Der neue Regionalgeschäftsführer ist ja noch weiter von der lokalen Aufgabenstellung entfernt als der bisherige GmbH-Geschäftsführer. Ist Ihr Organisationsmodell die richtige Antwort auf den Markt?


Hahn:
Zunächst einmal stärken wir in unserem Modell massiv die lokale Kompetenz. Entscheidungen werden nah am Markt in den sogenannten Marktbereichen oder in den Niederlassungen gefällt. Im Norden bildet zum Beispiel die Autokraft einen eigenen Marktbereich. Die
Autokraft-Niederlassungsleiter sind „Chef vor Ort“. Sie halten den Kontakt mit Schulen und Kommunalverwaltungen. Unser Signal an die Aufgabenträger lautet: „Sie haben Ihren persönlichen Ansprechpartner, Ihren Kümmerer.“ Die Erfahrung zeigt, dass die Betreuungsqualität bei Entfernungen über 60 km vom Standort des Stützpunkts zu stark abnimmt.

Aber der Vorstand macht sich nicht selbst überflüssig. Welche Entscheidungen behält sich die Zentrale vor?
 

Hahn:
Wir unterstützen, koordinieren. Und in Kernbereichen gibt es einen „Durchzugskamin“. Der Vorstand hat einen direkten Zugriff zum Beispiel bei gesetzlichen Vorschriften wie Sicherheits- und Umweltstandards. Die Zentrale formuliert zudem einheitliche Regeln für die Bilanzierung oder das Controlling. Nur so lässt sich die Ergebnisverantwortung der lokal und regional Verantwortlichen auch vergleichen und bewerten.

Ihr Modell kopiert damit offensichtlich Elemente einer mittelständischen Betriebsführung und überträgt sie auf Konzernebene. In unserem letzten Gespräch haben Sie schon gesagt, dass es keine Bestandsgarantie für die Partner gibt. Ist die jetzt ausgerollte Organisationsreform der
Anfang vom Ende der Auftragsunternehmer?
 

Hahn:
Ganz klar: Nein, wir werden weiterhin mit Auftragsunternehmern zusammenarbeiten, wie wir es schon seit Jahren erfolgreich getan haben.

Was wird aus den bisherigen GmbH’en? Würde es nicht Sinn machen, den Mainzer Rhein-Nahe-Bus (ORN) in einen Südwest-, einen Rhein-Neckar- und einen Hessen-Teil zu zerlegen?
 

Hahn:
Die Legalstruktur haben wir nirgendwo angepackt, sondern in die neue Organisationsstruktur integriert. Das bedeutet: Die GmbH’en existieren weiter, die Markennamen ebenfalls, und auch die Arbeitgeber der Fahrer bleiben unverändert. Die neuen Marktbereiche können das Verkehrsgebiet einer GmbH umfassen, können aber auch anders zugeschnitten sein. Eine ORN-Aufteilung haben wir geprüft, aber als zu kompliziert verworfen. Die Region Hessen wird demzufolge den Rheingau-Taunus-Kreis und die Verkehre nach Wiesbaden nicht umfassen.

Bei den Kosten seien Sie noch nicht dort, wo Sie sein müssten, sagen Sie. Wo und wie soll gespart werden?
 

Hahn:
Zum Beispiel im Fahrzeugeinsatz. Wir binden künftig lokale Erkenntnisse viel stärker in die strategische Produktionsplanung ein, etwa hinsichtlich der Gefäßgrößen. Wir forcieren Fahrzeugpools, um nicht mehr benötigte Einheiten schneller und einfacher zu Einsatzorten zu transferieren, wo Bedarf besteht. Personelle und materielle Ressourcen sind zu teuer, als dass man sie in kleinen Flecken über die Fläche verteilen könnte.

Nutzen Sie die Organisationsreform also auch für einen Personalabbau?
 

Hahn:
Das war die Befürchtung der Mitarbeitervertretungen und hat auch im Gesamtbetriebsrat zu Diskussionen geführt. Wir konnten die Befürchtungen aber ausräumen. Denn die Antwort war klar: Nein, die Organisationsreform bedeutet keinen Stellenabbau, etwa nach dem Motto „10 % gehen immer.“ Aber sie bedeutet zum Teil eine Verlagerung von Arbeitsplätzen, indem wir bestimmte Funktionen an neuen Standorten konzentrieren. Das bedeutet natürlich Veränderungen für die Mitarbeiter. Außerdem brauchen wir im Markt eine skalierbare Struktur: Verlieren wir Leistungen im Wettbewerb, müssen wir eine Niederlassung rasch schließen können. Und genauso rasch eine andere eröffnen, wenn wir Erfolg haben. Zum Glück gibt es viele Aufgabenträger, die unsere Kompetenz, Verlässlichkeit und auch Finanzkraft schätzen. Diesen Partnern signalisieren wir mit der neuen Struktur, dass wir sie auch in Zukunft gut bedienen können, oder sogar besser.

Personen & Positionen
Interview von Ausgabe 8/13
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