„Wir vermissen Mut zu Weichenstellungen“

Trotz jüngster Ausschreibungserfolge fürchten die SPNV-Besteller weiterhin Engpässe auf den Faktormärkten. Deswegen fordert die Bundesarbeitsgemeinschaft Schienenpersonennahverkehr (BAG-SPNV) mehr Konkurrenz in der Infrastruktur, beim Bahnstrom und im Vertrieb. Hauptgeschäftsführerin Susanne Henckel wirbt im Interview mit Timon Heinrici für eine Reform der Finanzierungsinstrumente, die die Erfolge aus zwei Jahrzehnten Bahnreform sichert und fortführt.

Frau Henckel, die BAG-SPNV hat mit ihrem Marktreport 2013 einen Lagebericht zum SPNV-Wettbewerb vorgelegt. Sind Sie mit seiner Entwicklung zufrieden?
 
Susanne Henckel: Ja, wir sind durchaus zufrieden mit den wirtschaftlichen Ergebnissen der letzten Ausschreibungen und den wieder zunehmenden Teilnahmeaktivitäten der Verkehrsunternehmen. Dennoch machen uns noch immer die Engpässe auf den Faktormärkten erhebliche Sorgen: die hohe Volatilität des Kapitalmarktes, die noch immer kritischen Rahmenbedingungen für die Fahrzeugverfügbarkeit und die zunehmend schwieriger zu deckende Nachfrage nach qualifiziertem Personal in den Unternehmen stellen alle Beteiligte in der nächsten Zeit vor große Herausforderungen.

Die Aufgabenträger haben in der Vergangenheit einiges unternommen, um den Wettbewerb am Leben zu erhalten. Müssen Sie diesen Weg weitergehen?

Henckel: In den vergangenen Monaten war es wichtig, die aufgrund der Finanzkrise schwierigen Konditionen zur Finanzierung von Neufahrzeugen durch Garantien oder die Übernahme von Risiken durch die Aufgabenträger zu überwinden. Wir stellen aber auch fest, dass die angebotenen Unterstützungen nicht mehr in allen Fällen benötigt werden, und beobachten gespannt, ob eine Rücknahme der Risikoverteilungen in Richtung der am Markt agierenden Unternehmen zunehmend wieder möglich ist.

Die Deutsche Bahn (DB) hat ja nach ihren Untersuchungen nicht nur einen hohen Anteil an den erbrachten Verkehrsleistungen, sondern auch an der Wertschöpfung. Stellt dies aus Sicht der Aufgabenträger ein Problem dar?

Henckel: Die Monopolsituation der DB bei der Infrastruktur, im Vertrieb und bei der Energieversorgung hat in den vergangenen Jahren dazu geführt, dass die Preisdynamik dieser Bereiche weit außerhalb der Dynamisierung der Regionalisierungsmittel lag und damit die Anteile für die Bestellerentgelte weiter in ihrer Kaufkraft reduziert hat. Höhere Preise für gleiche Leistungen. Hier wünschen sich die Aufgabenträger mehr Einfluss und mehr Transparenz in der Preisbildung. Grundsätzlich können wir uns vorstellen, dass eine Konkurrenz in diesen Bereichen für bessere Angebote und günstigere Konditionen sorgt. Einige Aufgabenträger prüfen derzeit zum Beispiel vermehrt die Ausschreibung von Vertriebsleistungen.

In Ihrem Marktreport kommen Sie zu dem Ergebnis, dass der SPNV einen wichtigen Beitrag geleistet hat, um politische Ziele zu erreichen. Fühlen Sie sich von der Politik ausreichend unterstützt?

Henckel: In den vergangenen Jahren hat der Wettbewerb im SPNV zu mehr Attraktivität und Effizienz geführt. Die Fahrgäste haben das honoriert, indem sie die Angebote genutzt und ihre Verkehrsmittelwahl zunehmend zugunsten der Schiene ausgerichtet haben. Über 20 % mehr Fahrgäste in den letzten zehn Jahren sind aus unserer Sicht genug Anlass, eine positive Bewertung der vor knapp 20 Jahren gestarteten Bahnreform vorzunehmen. Allerdings vermissen wir jetzt auf Seiten der Politik den Mut, die entscheidenden, notwendigen Weichenstellungen für die Zukunft vorzunehmen: Die gesetzlichen und finanziellen Rahmenbedingungen des gesamten ÖPNV stehen derzeit komplett auf dem Prüfstand. Es gilt dazu noch in diesem Jahr, weitreichende Entscheidungen zu treffen, die den Erfolgen der Schiene gerecht werden und die Zukunfts­fähigkeit des Nahverkehrs ermöglichen.

Natürlich sind für einen Ausbau des Angebots auch zusätzliche Mittel erforderlich. Als eine Möglichkeit nennt die Studie die Prüfung neuer Finanzierungsmöglichkeiten nach dem Motto „Verkehr finanziert Verkehr“. Wie könnte Ihrer Ansicht nach ein solches Modell aussehen?

Henckel: Aus unserer Sicht muss auch zukünftig der Fokus der Infrastrukturfinanzierung weiter darauf liegen, dass gerade für die wichtige Sicherung des Bestandsnetzes die Verwendung der Trassen- und Stationsentgelte im Rahmen eines geschlossenen Kreislaufes gesichert werden kann. Hier fehlt es noch immer an Transparenz und einer nachhaltigen Konzeption, damit sowohl die Anlageneigentümer als auch die finanzierenden Besteller „das Seil in die gleiche Richtung“ ziehen. Wir prüfen derzeit aber auch sehr genau die Abgrenzungsmöglichkeiten und Aufgabenverteilungen zwischen einer finanziell besser ausgestatteten Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung (LuFV) des Bundes mit der DB AG und den Möglichkeiten der Reduzierung von Trassenpreisen, um zum Beispiel Eintrittsbarrieren für Mehrleistungen zu senken. Auch vor dem Hintergrund der laufenden Gespräche zur Revision der Regionalisierungsmittel stehen wir dazu im Dialog mit allen Beteiligten.

Ein Ergebnis der Studie ist, dass der SPNV in Metropolregionen in den Hauptverkehrszeiten an die Kapazitätsgrenze stößt. Das Nachfragewachstum könne nicht mehr durchgängig durch SPNV-Angebote abgedeckt werden. Haben Sie Vorstellungen, wie das Problem gelöst werden könnte?

Henckel: Ja, wir haben dazu ganz konkrete Vorstellungen: Fahrzeuge und Angebotsplanung sind die altbekannten Ansätze, die dennoch mit Ideen und Innovationen ausgestattet werden müssen. So ist die Bedeutung der Kuppelbarkeit der modernen Triebwageneinheiten immer wichtiger geworden, um ausreichende Kapazitäten bereitstellen zu können. Eine selbstverständliche Sache, die die Fahrzeugindustrie aber noch immer vor große Herausforderungen stellt. Die infrastrukturellen Rahmenbedingungen setzen häufig der Ausweitung der Angebote zu enge Grenzen. Ein gesamtheitliches Angebotskonzept, das wie der Deutschland-Takt Nah- und Fernverkehr fahrplanmäßig optimal aufeinander abstimmt und die Vorgaben für die zu errichtende Infrastruktur benennt, fehlt noch immer. Unsere Nachbarländer sind da bereits erheblich weiter.

Ein Blick auf 2030: Die Metropolen werden größer, der ländliche Raum verliert Einwohner. Was bedeutet das für den SPNV?

Henckel: Eine große Herausforderung! Ganz unterschiedliche Konzepte werden in den verschiedenen Regionen dafür aufgestellt und vor Ort entschieden werden müssen. Es gibt bereits sehr gute Beispiele für optimierte Angebotskonzepte im ländlichen Raum mit vollständiger tariflicher Einbindung von bedarfsgesteuerten Angeboten. Allerdings müssen wir über diese Erfolge auch reden. Die Branche tut sich momentan schwer damit, über die Herausforderungen und Lösungen auch außerhalb der Fachwelt zu sprechen und die Bedeutung der Schiene im Rahmen der notwendigen Verkehrswende zu benennen. Der Marktreport 2013 zeigt auf, die Probleme sind lösbar und die Bahnreform in Deutschland war und ist eine Erfolgsge­schichte.

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Interview von Ausgabe 55/13
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