Brexit und der deutsche SPNV

Britische Bahnindustrie thematisiert weniger Staat im SPNV.

Am Donnerstag entscheiden die britischen Wähler über den Austritt ihres Landes aus der EU – und mit dem so genannten Brexit auch über den einfachen Zugang britischer Industrie- und Finanzunternehmen zu den relevanten deutschen Märkten.

Für die kapitalintensive Bahnbranche ist gerade der Bereich Rollmaterial-Finanzierung von großer Bedeutung – ein Grund, warum die Abstimmung in England, Wales, Schottland und Nordirland auch im deutschen SPNV mit großem Interesse verfolgt wird. Noch ist bewusst, welche Auswirkungen die Finanzkrise 2008/09 auf die Branche hatte, in Großbritannien wie bei uns.

Als tausende Jobs in der Londoner City abgebaut wurden und damit Fahrgastprognosen Netze Makulatur wurden, setzte das die Bahnkonzessionäre in Südengland erheblich unter Druck. Prominentestes Beispiel ist National Express (NX). Ausbleibende Erlöse vom Fahrgast im Verbund mit hohen Schulden trugen dazu bei, dass der Konzern ins Trudeln geriet und schließlich die Konzession für das Netz „East Coast“ zurückgab. Über die Directly Operated Railways (DOR) sprang schließlich der Staat ein und sicherte für mehr als fünf Jahre den Verkehr auf der East Coast Main Line (ECML).

Die Auswirkungen der Finanzkrise waren aber auch im deutschen SPNV mehr als deutlich spürbar: Banken und Leasingunternehmen zogen sich zurück, die Besteller sprangen ein, indem sie Flotten beistellten, Kommunalkredite oder Kapitaldienstgarantien entwickelten. „Wir mussten diesen Weg gehen, sonst wäre der SPNV-Markt vor vier, fünf Jahren kollabiert“, sagte BAG-SPNV-Präsident Geyer am 2. Juni auf dem Deutschen Nahverkehrskongress in Koblenz. Der oberste Vertreter der deutschen Besteller setzte aber sofort ein Fragezeichen daran, ob es sinnvoll sei, dass die öffentliche Hand den Unternehmen mehr und mehr Risiken abnehme.

Inzwischen ist die Finanzkrise weitgehend überwunden. Mehr und mehr britische Verkehrskonzerne bemühen sich wieder um den deutschen Markt. NX und Go-Ahead sind als Bestbieter aus mehreren großen Verfahren gegangen und haben erste Verträge und Betriebsaufnahmen schon in der Tasche. Parallel hinterfragt nun auch die britische Finanzwirtschaft die Rolle der deutschen Aufgabenträger als Finanzierer. Für den 29. Juni lädt die britische Wirtschaftsförderung (UK Trade & Investment) nach Berlin zu einer Tagung ein. „Der Wettbewerb zwischen den Betreibern funktioniert, auf der Finanzierungsseite wird er jedoch … mehr und mehr eingeschränkt“, konstatieren die Veranstalter. Sie fragen – u.a. mit den Referenten Kurt Bodewig (SPD, Ex-Verkehrsminister), Per Rummel (Monopolkommission), Klaus Feiler (Berliner Senatsverwaltung Finanzen) und Shaun Mills (Alpha Trains) –, wie viel Staat notwendig und sinnvoll ist und „ob auch in Zukunft ein faires Nebeneinander verschiedener Modelle möglich sein kann“.

Wie zentral das Thema Finanzierung für Neuausschreibungen ist, machte jüngst erst Transdev-Deutschlandchef Christian Schreyer deutlich. Im Gespräch mit dem „NaNa-Brief“ setzte er sich dafür ein, dass Berlin bei der anstehenden Ausschreibung der S-Bahnen auf der Nord-Süd-Achse eine Finanzierungshilfe anzubieten, zumindest aber eine Wiedereinsetzungsgarantie.

Doch auch für Bestandsnetze ist die Klärung der Frage, wo die Grenze zwischen einer öffentlichen und einer unternehmerischen Flottenfinanzierung verlaufen soll, durchaus von Bedeutung. Auf welches Modell werden sich beispielsweise Hamburg, seine Hochbahn und der britische Fonds INPP einigen, wenn die Benex im Zuge der anstehenden Hochbahn-Direktvergabe neu geordnet werden soll? (NaNa Brief / msa)

Politik & Recht
Artikel Redaktion Bus&Bahn
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