Raus aus dem Klassenkampf

Bei der Fachtagung der Uni Jena zur PBefG-Eigenwirtschaftlichkeit wurde zwar die Überzeugung geäußert, dass die allermeisten Linien in der Praxis von dieser Spezialfrage gar nicht betroffen sein werden. Wen es aber trifft, der bekommt ein Problem.

So verwundert es nicht, dass viele Teilnehmer einen weiten Weg auf sich nahmen, um am 30. Oktober den Wettstreit prominenter Lehrmeinungen aus eigener Anschauung zu erleben und vielleicht Anregungen für die eigene Strategie oder Taktik daraus abzuleiten.
Vertreter von Genehmigungsbehörden, die eigenwirtschaftliche Anträge gegen kommunale Direktvergabeabsichten zu bearbeiten haben, waren ebenso darunter wie umgekehrt Mittelständler, die die Gefahr erkennen, dass kommunale Vorgaben ihre unternehmerischen Handlungsspielräume künftig einschränken.

Im Publikum saßen aber auch etliche Berater sowie Vertreter mehrerer Verkehrskonzerne. Von Saarbrücken bis Auerbach, von Friedrichshafen bis Friesland kamen sie angereist, vielfach aus Orten oder Unternehmen, wo in den letzten Monaten hart um die ÖPNV-Zukunft gerungen wurde – oder absehbar gerungen werden wird.

Die vom Leiter der Jenaer Forschungsstelle für Verkehrsmarktrecht Matthias Knauff initiierte Fachtagung
bot den Zuhörern dabei die Möglichkeit, die Diskussion um die Knackpunkte des PBefG in ihrer Bandbreite zu
verorten, angefangen bei den Grundrechten über rechtsphilosophische Betrachtungen und politische Forderungen nach abermaligen Korrekturen am PBefG.

Auch Probleme aus der Praxis kamen zur Sprache, aber auch visionäre Vorschläge für eine Zukunft abseits des herrschenden Denkschemas. Stefan Karnop vom Verkehrsministerium Sachsen-Anhalt, einer der Väter des „Wittenberger Modells“ und der PBefG-Novelle, stellte bedauernd bei Teilen der Landes- und Kommunalpolitik „asymmetrische Argumentationslinien“ fest. Debatten über das Für und wider, ja nur die Möglichkeit einer eigenwirtschaftlichen Verkehrserbingung würden häufig vom gewünschten Ergebnis her geführt und weniger von stringenter juristischer Logik.

Für Karnop hingegen ist klar: Länder wie Kommunen können sich die Unternehmerinitiative zunutze machen, um politische Ziele (Förderung des Nahverkehrs, CO2-Senkung), Daseinsvorsorge und Kosten positiv zu beeinflussen.

Eigenwirtschaftliche Verkehre, so die These des Ministerialbeamten, seien grundsätzlich stärker fahrgastorientiert, während der Kunde in gemeinwirtschaftlichen Verkehren tendenziell störe. Das Wahlrecht der Aufgabenträger verschaffe ihnen keine absolute Freiheit, sondern müsse stets im pflichtgemäßen Ermessen ausgefüllt werden, sei demzufolge eben nicht frei.

Michael Winnes vom Verkehrsverbund Rhein-Neckar (VRN) bot dazu gleich den passenden Kontrapunkt. Er wies auf einen ungelösten Grundkonflikt hin: Sind Liniengenehmigungen, wie von vielen Aufgabenträgern angenommen, ausschließliche Rechte, so kann es eigenwirtschaftliche Verkehre im deutschen Nahverkehr eigentlich gar nicht geben.
„Der Aufgabenträger vertritt die Fahrgastinteressen“, ist Winnes überzeugt. Diese Aufgabe aber auszufüllen, werde durch das Marktregime der Eigenwirtschaftlichkeit mitunter sehr schwer gemacht:
Im Insolvenzfall beispielsweise könne nicht ohne weiteres ein Ersatzunternehmen beauftragt werden, bei Fahrplanänderungen im SPNV habe der Aufgabenträger kein Recht, nun auch Anpassungen im ÖPNV zu verlangen, und bei veränderter Verkehrsnachfrage seien Zu- bzw. Abbestellungen wettbewerbsrechtlich kaum möglich, merkte der VRN-Justitiar an.
Last but not least beklagte Winnes Mängel in der Qualitätssicherung, untermauert mit der Statistik eines ungenannten VRN-Partners: Für dieses Unternehmen habe man im ersten, gemeinwirtschaftlichen und demzufolge auch pönalebewehrten Linienbündel nur 13 Fahrtausfälle verzeichnet.

Im direkt benachbarten eigenwirtschaftlichen zweiten Bündel, das von derselben Firma bedient wurde (offensichtlich war die insolvente TC Werner gemeint), registrierte der VRN laut Winnes hingegen 109 Fahrtausfälle. Der Aufgabenträger habe sogar das Regierungspräsidium um Sanktionen gebeten – das aber habe dazu (noch) keine rechtlichen Handhabe erkannt.
Winnes warnte auch davor, eigenwirtschaftliche Anträge unter dem Niveau der Vorabbekanntmachung zu akzeptieren. Im Interesse der Fairness sei es nämlich geboten, dieses neue Niveau abermals europaweit bekannt zu machen – und so auch anderen Marktteilnehmern wieder Chancengleichheit einzuräumen. Der VRN-Justitiar plädierte vor diesem Hintergrund für Nachbesserungen am PBefG.
Sebastian Roling, als Vertreter „der privaten Unternehmer“ vorgestellt, wehrte sich gegen diese Schubladisierung: „Es gibt nicht ‚den‘ privaten Unternehmer.“ Seine Klienten seien aber oft eindeutig: „Wer den Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit ignoriert, der bekommt Probleme.“
Für Roling zeigen sich mittlerweile starke Marktverschiebungen. Habe man zunächst lange gegen Ausschreibungen und für Eigenwirtschaftlichkeit gekämpft, würde er heute oftmals eine Ausschreibung einklagen, dort nämlich, wo der Aufgabenträger den Marktzugang durch kommunale Direktvergaben beschränken wolle.
Der Osnabrücker Fachanwalt plädierte an die Kommunen, sich die Chancen des „Doppelwettbewerbs“ aus Vergaberecht und PBefG-Genehmigungswettbewerb zunutze zu machen. „Der Nahverkehrsplan ist ein gutes Instrument, um private Verkehrsunternehmen zu fördern und zu fordern“, findet er – bei gleichzeitig effektiver Wahrung des öffentlichen Verkehrsinteresses.
Anders als Winnes lehnte Martin Schäfer vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) abermalige PBefG-Korrekturen ab. „Ohnehin war die Novelle keine Revolution, außer im Bereich der Fernbusse.“
In 20 Jahren werde diese Liberalisierung den Markt sehr viel mehr beeinflusst haben als die heute so heiß diskutierte Frage, ob und wann Verkehre eigenwirtschaftlich seien. Wie es sich für einen VDV-Vertreter gehört, verteidigte Schäfer Direktvergaben. Das neue PBefG hat in seinen Augen keineswegs eine Oase geschaffen, wo sich kommunale Verkehrsunternehmen „krakenhaft ausbreiten“ könnten. „Denn die Regelung zum Vorrang eigenwirtschaftlicher Verkehre sorgt für erheblichen Wirtschaftlichkeitsdruck bei kommunalen Anbietern.“
Diese Sichtweise rief prompt den Widerspruch von DB-Busmanager Holger Waldhausen hervor. Bereits viermal habe sein Haus erlebt, dass bislang eigenwirtschaftliche Leistungen anschließend nicht etwa im Wettbewerb vergeben wurden, sondern eben „krakenhaft aufgesogen wurden“, wie er sagte.
Weitere 14 derartige Fälle seien vorangekündigt oder in Planung, mit zusammen 24 Mio. Nkm/a. Die DB werde „gegebenenfalls nachschauen, was man in solchen Fällen machen kann“.
Eine rechtliche Klärung ist für DB Bus dabei leichter zu stemmen als für manchen Mittelständler. Auf eine Publikumsfrage hin gab Waldhausen an, dass die durch Rechtsstreitigkeiten verursachten Kosten im Gesamtumsatz der Bussparte nur im Promillebereich rangieren.
Waldhausen warb für einen Mix der Systeme – und damit dafür, eigenwirtschaftliche Verkehre mit ihrer immanenten Anreizfunktion gezielt einzusetzen. Als Verkehrsunternehmen müsse die DB Geld verdienen.
Lorenz Wachinger von BBG & Partner erinnerte daran, dass der Begriff „Eigenwirtschaftlichkeit“ seinen Weg ins PBefG nicht zum Schutz des Mittelstands fand, sondern umgekehrt um die kommunalen Querverbünde und damit die öffentliche Hand vor einer Falle der früher gültigen EUVerordnung 1191/69 zu bewahren.
Wenn Verkehrsunternehmen bisweilen das Grundrecht der Berufsfreiheit ins Feld führten, um „ihre“ eigenwirtschaftlichen Verkehre gegen Angriffe von außen zu verteidigen, so unterschlügen sie dabei allerdings, dass auch die Berufsfreiheit von Unternehmen, die noch nicht fahren (können), den Schutz des Grundgesetzes genießt.
„Auch die unternehmerische Freiheit findet ihre Grenzen in der Freiheit des anderen Unternehmers“, betonte Wachinger. Der Bremer Anwalt vermisst bislang Antworten des Gesetzgebers darauf, wie allfällige Anpassungen während der Genehmigungsdauer umgesetzt werden könnten, obwohl das Leistungsniveau beispielsweise durch „verbindliche Zusagen“ eigentlich fixiert sei.
Auch der Passauer Rechtsgelehrte Urs Kramer wies auf Veränderungen im Begriff der Eigenwirtschaftlichkeit
hin. Im Unterschied zum früheren Rechtsregime „bezeichnet Eigenwirtschaftlichkeit heute vor allem ein Instrument, um Wettbewerb zurückzudrängen“.
Andreas Saxinger von der FH Nürtingen-Geislingen, der als Experte für verfahrensrechtliche Fragen und Genehmigungsfolgen geladen war, wies darauf hin, dass die Eigenwirtschaftlichkeit „aus einer ganz anderen Welt kommt, die längst untergegangen ist“. „Natürlich ist Wettbewerb ruinös, weil irgendwann einmal einer aus dem Markt geht. Bis dahin aber ist er fruchtbar“ – mit diesen Worten warnte Felix Berschin von der Nahverkehrsberatung Südwest seine Zuhörer vor einer „Lebenslüge“:
Und doch plädiert Berschin dafür, noch mehr (Genehmigungs-)Wettbewerb als heute zu erproben. „Irgendein Restverkehr ist immer eigenwirtschaftlich möglich“, meinte er.                                                              Warum sollten öffentliche Hand und Verkehrsunternehmen diese Ausgangslage nicht gemeinsam in eine Win-win-Situation überführen?, lautete die provokante These des Beraters. Es sei kein Naturgesetz, dass nur ein Unternehmen den gesamten ÖPNV in einem Teilnetz anbiete. Neben einer Grundversorgung sei beispielsweise ein Flächenbus mit Tür-zu-Tür-Bedienung denkbar, der dafür aber vielleicht den doppelten Tarif erheben dürfe.
Bei guter Planung könne der Aufgabenträger „Pflicht und Kür“ trennen und somit einen großen Teil des Bedarfs eigenwirtschaftlich abdecken. Berschins Fazit lautete: „Wir müssen raus aus dem Klassenkampf“.                  Damit setzte er einen Kontrapunkt zum Satz: „Alle Macht den Räten“. Mit diesem Zitat hatte der damalige Verkehrsreferent des Deutschen Städtetags, Oliver Mietzsch (heute ZVNL), die Diskussion um eine PBefG-Novelle polarisiert und für das Ende der Eigenwirtschaftlichkeit geworben. Insbesondere der Bundesverband Deutscher Omnibusunternehmer (BDO) hatte sich darüber aufgeregt.

Politik & Recht
Artikel Redaktion Bus&Bahn
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