„Jedem sein Gärtchen“ – Branchenkonsens gebrochen

Doch bislang lenkt der nicht ein, sondern fordert Kommunale weiter heraus, indem er ihnen eigenwirtschaftliche Gegenanträge für ihre eigenen Netze nahelegt. „Der Vorrang der Eigenwirtschaftlichkeit ist volkswirtschaftlich sinnvoll“, lautet die Parole. Doch der Branchenkonsens ist schon lange gebrochen – auch durch kommunale Wettbewerbsteilnahmen und den Zuschnitt von Direktvergaben.

Vor dem Hintergrund der eigenwirtschaftlichen Anträge der Deutschen Bahn (DB) in Pforzheim und (womöglich) in Hildesheim ist das kommunale Lager aufgeschreckt. Noch bleibt der VDV in der Deckung. Aber die Nervosität ist spürbar gestiegen. Das zeigt sich in Hintergrundgesprächen. Die Nervosität ist aber auch öffentlich ablesbar – zum Beispiel anhand der umfangreichen Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, die der Stadtverkehr Hildesheim (SVHI) im Vorfeld des befürchteten DB-Antrages vollbringt. Dazu gehört auch ein Schreiben, das die Hildesheimer an den DB-Aufsichtsratschef Utz-Hellmuth Felcht gerichtet haben. Man habe den obersten DB-Aufseher darin unter anderem „auf die Gesetzeslücke im novellierten Personenbeförderungsgesetz hingewiesen, die sich die DB zu eigen macht“, teilen die SVHI-Geschäftsführer Kai Henning Schmidt und Michael Bosse-Arbogast mit.

Anders als der VDV kann die Gewerkschaft Verdi offener agieren. Sie drängt öffentlich auf PBefG-Nachbesserungen (NaNa-Brief 8/16). Demgegenüber lehnt die DB eine solche Novelle ab. Der Vorrang für eigenwirtschaftliche Verkehre sei ein seit mehr als 20 Jahren verankerter und bewährter Grundsatz, erklärte ein DB-Sprecher. „Dahinter steht die volkswirtschaftlich sinnvolle Erwägung des Gesetzgebers, dass solche Betreiber Vorrang genießen, die ein ausreichendes Busverkehrsangebot ohne Zuschussverträge mit der öffentlichen Hand erbringen können.“

Aus Sicht der DB hat die PBefG-Novelle die kommunale Gestaltungshoheit nicht eingeschränkt, sondern sogar erhöht – indem die Vorabbekanntmachungen nach §8a PBefG die Verkehrsbedienung und -qualität verbindlich vorgeben und damit Leitplanken für eigenwirtschaftliche Antragsteller setzen. Die DB betont außerdem, dass eigenwirtschaftliche Anträge allen Marktteilnehmern offen stehen, auch kommunalen Busunternehmen. „Es handelt sich um ein offenes, faires und diskriminierungsfreies Verfahren“, betonte der Sprecher. Beim SVHI teilt man diese Einschätzung nicht. Von einem echten Wettbewerb könne keine rede sein.

Trotzdem wird in Hildesheim nun offenbar zur Abwehr des DB-Antrages immer stärker ein eigener eigenwirtschaftlicher Antrag in Erwägung gezogen. Man hat den Betriebsrat im Krisenstab eingebunden, aber auch externe Berater geholt. Mit ihrer Hilfe wird laut Schmidt und Bosse-Arbogast außerdem fieberhaft danach gesucht, doch noch ein Schlupfloch für die bedrohte Direktvergabe zu finden. Warum bedroht die DB den ehedem unverbrüchlichen Branchenkonsens: „Bleibst du aus meinem Gärtchen, bleib‘ ich aus deinem.“ Vielleicht ist mancher Oberbürgermeister ja gar nicht so unfroh, wenn die DB-Bussparte in einzelnen Städten, aber immer mit offensichtlicher Rückendeckung des Konzernvorstandes, den Wadenbeißer spielt und die mächtige Stadtwirtschaft auf Trab bringt, heißt es in informierten Kreisen.

In diesem Zusammenhang wird auch daran erinnert, dass die DB selbst schon seit längerem Opfer eigenwirtschaftlicher Anträge aus dem kommunalen Lager ist. So verdrängte bereits 2009der Mühlenkreisbus (MKB) die DB-Tochter Ostwestfalenbus (BVO) aus dem „Linienbündel A Lübbecke“. BVO musste einen Standort schließen und außerdem erleben, dass der Aufgabenträger die Unternehmerinitiative seines Unternehmens später mit einer nachgeschobenen Direktvergabe noch absicherte.

Zu erinnern ist auch daran, dass der Branchenkonsens auch an anderer Stelle von kommunalen Aufgabenträger in Frage gestellt wurde, indem sie ihren Verkehrsunternehmen zum Beispiel frühere DB-Leistungen direktvergeben, teils mit dem Umweg über den Zwischenschritt eines Wettbewerbsverfahrens, teils unmittelbar. Beides lässt sich etwa in den saarländischen Landkreisen Neunkirchen und Saarlouis studieren, wo DB Bus heute praktisch verdrängt ist. Das alles ändert aber nichts daran, dass jeder, der einen großen Auftragsverlust fürchten muss, vor hohen Remanenzkosten steht. Genau davor warnt jetzt der SVHI, unter anderem mit einem Brandbrief an Landeswirtschafts- und Verkehrsminister Olaf Lies (SPD), dem die Genehmigungsbehörde LNVG nachgeordnet ist. Zusätzlich fordert der SVHI nachdrücklich, die diesbezügliche Lücke im PBefG zu schließen. Schließlich lebten wir nicht in einer reinen Marktwirtschaft, sondern deren sozialen Variante. Nach dem Wirtschaftstheoretiker Joseph Schumpeter ist für die kapitalistische Wirtschaftsform ein „Prozess der schöpferischen Zerstörung“ wesensbestimmend. (msa)

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Artikel Redaktion Bus&Bahn
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