ATAC-Rom: Weiter insolvenzbedroht

Für die Italienische Staatsbahn (FS) bleibt der Nahverkehr „su gomma“, „auf dem Gummirad“, weiterhin hochinteressant. Das lässt sich an diversen Entwicklungen ablesen. Für diese Strategie stehen zum Beispiel der Einstieg bei ATAF Florenz und die jüngste Teilnahme an der toskanischen Mega-Ausschreibung. Zwar ist FS Busitalia dort nicht erster Sieger geworden, aber hat noch nicht aufgegeben (ÖPNV aktuell 46/15).
Auch in der Region Umbrien mitsamt der Regionalhauptstadt Perugia hat Busitalia sein Engagement
noch einmal verstärkt. War man bei der insolvenzbedrohten Umbria Mobiltà (UM) zunächst
mit 70 % eingestiegen (ÖPNV aktuell 7/14), gehört das frühere Kommunalunternehmen der Staatsbahn mittlerweile zu 100 %.
In zurückliegenden Jahren hatte Busitalia außerdem Interesse für die Stadtverkehrsbetriebe in
Genua und Turin angemeldet (ÖPNV aktuell 7/13, 88/12).Doch die Expansionsgelüste der Staatsbahn kennen auch Grenzen. Eine Kooperation mit dem römischen Verkehrsbetrieb ATAC sei vorstellbar, eine Übernahme nicht“, hat FS-Chef Michele Elia vor dem Oberhaus des Parlaments erklärt. Die Zurückhaltung ist verständlich. ATAC ist nicht nur hoffnungslos unterfinanziert, sondern
auch in einer Restrukturierungs- und Führungskrise. Ganz ähnlich ergeht es derzeit aber auch
der Stadtspitze.
Um die 2013 mit 874 Mio. EUR verschuldete ATAC zu sanieren, holte der im selben Jahr ins Amt
gekommene Oberbürgermeister Ignazio Marino einen Manager Danilo Broggi, einen zweifachen
Außenseiter: Er kommt aus Mailand, und er kommt aus der Privatwirtschaft. Der Auftrag lautete: ATAC muss so fit werden, dass man das Unternehmen auch privatisieren könnte. Die Restrukturierung setzte beim Gehalt des neuen ATAC-Chefs ein. Broggi wurde deutlich schlechter als viele der mehr als fünfzig ATAC-Direktoren bezahlt. OB Marinos erklärtes Ziel war es, der Vetternwirtschaft den Kampf anzusagen.
Zu den Verdiensten des neuen ATAC-Topmanagers Broggi gehört, dass er mit der Kommune einen
neuen Verkehrsvertrag sowie eine Rekapitalisierung aushandelte. Doch die Umsetzung zieht sich hin. Rom ist selbst hoch verschuldet. Mittlerweile schiebt ATAC schon 1,6 Mrd. EUR Schulden vor sich her. Dazu kommt ein Sanierungsstau ungeahnten Ausmaßes.
Mit Blick auf die Anforderungen der EU-Verordnung 1370/07 setzte Broggi vor einigen Wochen durch, dass die ATAC-Schienenbahnfahrer künftig 30 % mehr arbeiten. Damit liegt ihre Arbeitsproduktivität allerdings immer noch etwa ein Fünftel niedriger als bei ATM Mailand.
Die Finanznot hat sich inzwischen so sehr verschärft, dass ATAC auf dringend erforderliche Beschaffungen verzichten muss. Die jüngste Leasing-Ausschreibung für 700 Busse musste aufgehoben werden. Nicht einmal Iveco, sonst der Haus- und Hoflieferant von ATAC, gab ein Angebot ab. Der Verkehrsbetrieb benötigt die Flotte für das von Papst Franziskus ab 8. Dezember ausgerufene Heilige Jahr.
Nun ist ATAC-Sanierer Broggi gestolpert. Nach dem Tarifabschluss schnellte der Krankenstand
auf Rekordniveau, dazu kommen Ausfälle durch Baustellen und den überalterten Fuhrpark. Die Fahrgäste, der Stadtrat und schließlich auch der Regierungschef Matteo Renzi machten Druck. OB Marino entzog Broggi daraufhin das Vertrauen. Vor wenigen Tagen hat der ATAC-Topmanager
sein Amt aufgegeben. Auch ATAC-Generaldirektor Francesco Michele ist zurückgetreten.
Doch auch das Stadtoberhaupt blieb nicht ungeschoren. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, weil
Marino 20.000 EUR Privatspesen mit seiner Dienst-Kreditkarte bezahlt haben soll. Als die Demokratische Partei (PD) daraufhin „ihren“ OB fallen ließ, erklärte Marino seinen Rücktritt – und liefert sich öffentliche Auseinandersetzungen mit seinem Parteifreund, Regierungschef Renzi.
Während der gesetzlichen Bedenkzeit überlegte sich Marino die Sache jedoch anders und erklärte
den Rücktritt vom Rücktritt.
Daraufhin sind dann 26 von 48 Ratsherren und -damen zurückgetreten, darunter alle Dezernenten.
Die Kommunalaufsicht hat daraufhin den Stadtrat für aufgelöst erklärt und einen Notverwalter
eingesetzt.
Der bisherige Verkehrsdezernent Stefano Esposito hat unterdessen den Strafverfolgern und
der Anti-Korruptions-Behörde ANAC eine dicke Akte zu den ATAC-Auftragsvergaben der letzten
Jahre übergeben. „Man wird erkennen, dass hier eine Goldader der Hauptstadtmafia verläuft“, sagte jetzt ein hochrangiger PD-Politiker dem Wirtschaftsblatt „Il Sole/24 Ore“.
OB Marino hält sich zugute, dass Rom nach 16 Jahren endlich einen Nahverkehrsplan erlassen
hat und den Streckenausbau vorantreibt. Außerdem hält das suspendierte Stadtoberhaupt auf seiner Webseite befriedigt fest: „Schwenk bei ATAC, das Unternehmen verfolgt wieder das öffentliche Interesse.“

 

 

Politik & Recht
Artikel Redaktion Bus&Bahn
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