„Strahlkraft für ganz Deutschland und darüber hinaus“

Bruno Ginnuth ist Mitgründer und Geschäftsführer von Clevershuttle. Gemeinsam mit seinem Kollegen Jan Hofmann und den Gesellschaftern DB und Mitsui hat er das Unternehmen 2020 umgekrempelt, vom Endkundengeschäft auf Business-to- Government (B2G) und damit auf die Partnerschaft mit Verkehrsunternehmen und Aufgabenträgern; Foto: Clevershuttle

Die PBefG-Novelle ist aus Sicht von Clevershuttle nur die halbe Miete. Will die Politik appgestützte Bedarfsverkehre dauerhaft im ÖPNV etablieren, müssten die neuen Systeme schnell eine große Verkehrswirksamkeit erreichen, sagt Geschäftsführer Bruno Ginnuth im Interview mit dem NaNa-Brief. Anpassungen im Ausschreibungsdesign von gebündelten Linienverkehren hält er hier für erforderlich. Die Fragen stellte Chefredakteur Markus Schmidt-Auerbach.

NaNa-Brief: Die PBefG-Novelle ist durch, sie tritt im August in Kraft. Clevershuttle gewinnt eine Ausschreibung im Linienbedarfsverkehr (LBV) nach der anderen. Also alles paletti?

Bruno Ginnuth: Nicht ganz. Ja, der Rechtsrahmen steht jetzt. Damit gibt es Planungssicherheit, und es kommen öffentlich geförderte Leistungen auf den Markt. Wir gewinnen auch im Durchschnitt jeden Monat einen Auftrag. Zum Teil sind wir damit schon auf der Straße.

NaNa-Brief: Wo steckt das Aber?

Ginnuth: Diese Verträge laufen bisweilen ein Jahr, manchmal vier oder sogar sechs Jahre. Viele in der Branche, mich eingeschlossen, sind fest davon überzeugt, dass On-Demand einen wichtigen Beitrag zur Verkehrswende leisten wird.

Und damit komme ich zum Aber: Wir alle miteinander – die Aufgabenträger, die Verkehrsunternehmen und die On-Demand-Dienstleister – müssen nachweisen, dass diese neue Säule des ÖPNV verkehrlich wirksam ist. Wir müssen zeigen, dass wir Versorgungslücken schließen und zwar zu einem für die öffentliche Hand vertretbaren Aufwand.

NaNa-Brief: Im DB-Doppelpack ist Clevershuttle für den Betrieb zuständig, die Konzerntochter Ioki dagegen für die Fahrgastseite und die Bündelungs-App. In dieser Konstellation haben Sie die Kostenseite doch selbst maßgeblich in der Hand, oder?

Ginnuth: Der Betrieb steht für den Großteil der Kosten eines On-Demand-Verkehrs, tatsächlich. Deswegen ist es aus Sicht des Aufgabenträgers bzw. Verkehrsunternehmens so wichtig, sich diesem Faktor zuzuwenden. Der Auftragnehmer hat den Schlüssel zum Erfolg, hat die Key-Performance-Indicators nicht allein in der Hand. Das Verhältnis von Umsatz zur Fahrereinsatzstunde – und damit die entscheidende Kenngröße – wird ganz entscheidend von der öffentlichen Hand bestimmt.

Aber leider folgt die Ausschreibung mitunter noch dem Lastenheft, wie es für Auftragnehmer in klassischen Linienverkehren benutzt wird. Bloß: Starre Einsatzpläne oder lange vorab definierte Planungszeiträume werden den neuen Sammelverkehren nicht gerecht.

NaNa-Brief: Wünschen Sie sich also eher funktionale Ausschreibungen?

Ginnuth: Jedenfalls könnten intelligente Anreizsysteme die Auftragnehmer anspornen, den tatsächlichen Bedarf zu erkennen und flexibel darauf zu reagieren. Aus unseren eigenwirtschaftlichen Erfahrungen mit insgesamt 4,5 Millionen Fahrgästen wissen wir sehr gut, dass die Nachfrage von ganz vielen Faktoren beeinflusst wird: von der Tageszeit, dem Wetter, von Großereignissen, oder, um ein weiteres Beispiel zu benennen, von Betriebsstörungen im klassischen Linienverkehr.

Statt vorab definierte Bereithaltungsstunden für bestimmte Kalendertage zu fordern, könnten die Ausschreibungen alternativ vorgeben, dass die Kunden innerhalb einer definierten Wartezeit einen Fahrtvorschlag erhalten müssen. Dann könnten wir unsere Praxiserfahrung einbringen.

NaNa-Brief: Gibt es bereits Auftraggeber, die diesen Weg gehen?

Ginnuth: Zum Beispiel die HEAG mobilo, die uns beim „Heinerliner“ incentiviert. Wir sind aufgerufen, im laufenden Betrieb ein optimales Gleichgewicht zwischen Servicequalität und wirtschaftlicher Effizienz herzustellen. Wir prognostizieren die Nachfrage stundenscharf und leiten daraus die Anzahl der einzusetzenden Fahrzeuge ab.

NaNa-Brief: Der Darmstädter „Heinerliner“ – wir haben im NaNa-Brief 45/20 darüber berichtet – ist der erste appgestützte Bedarfsverkehr im Rahmen einer Direktvergabe, er wird einmal das ganze Stadtgebiet versorgen. Aus rechtlichen wie finanziellen Gründen endet das Projekt jedoch nach knapp vier Jahren im Dezember 2024. Hemmt das die Entwicklung von Clevershuttle?

Ginnuth: Länger wäre noch schöner. Aber wir haben diese Rahmenbedingung im Vorfeld ja gekannt und uns darauf eingestellt. Die Mitbewerber übrigens genauso. Jedenfalls haben wir uns vorgenommen: Am Ende der Vertragslaufzeit darf es keinen Zweifel geben, dass das Projekt fortgeführt wird. Und wir wünschen uns sehr, dass sich daraus eine Strahlkraft entwickelt, für ganz Deutschland und möglichst darüber hinaus.

NaNa-Brief: Ausschreibungen für Linienbedarfsverkehre (LBV), so der neue Terminus im PBefG, sind ja noch ein Sonder-, kein Regelfall für den Auftraggeber. Wer sich mit entsprechenden Gedanken trägt, will womöglich ein Lastenheft vermeiden, das auf einen einzigen Anbieter, nämlich Clevershuttle, hinausläuft. Könnten Sie eine solche Vorsicht nachvollziehen?

Ginnuth: Es gibt ein natürliches Spannungsverhältnis, nicht nur zwischen Besteller und Ersteller, sondern auch zwischen den Parametern Kosteneffizienz, Verkehrswirksamkeit und Attraktivität für die Fahrgäste. Sich darüber im Vorfeld klar zu werden, ist sicher nicht verkehrt. Vielleicht können wir hoffen, dass wir mit unserem „Leitfaden Ausschreibungen von On-Demand Verkehren“ zur Entscheidungsfindung beitragen können. Clevershuttle macht damit Erfahrungen zugänglich, die wir aus dem Betrieb zahlreicher Pooling Verkehre seit 2015 gewonnen haben, sowohl eigenwirtschaftlichen als auch beauftragten. In erster Linie wollen wir darin unser Wissen teilen.

Damit ist nicht gesagt, dass wir jede Ausschreibung gewinnen. Aber alle Anbieter und der Markt insgesamt werden profitieren, wenn sich Pooling im ÖPNV etabliert.

NaNa-Brief: In Darmstadt kritisieren SPD und Linke, dass die Fahrer des „Heinerliner“, im Endeffekt also die Fahrer von Clevershuttle, zwar im ÖPNV arbeiten, aber nicht nach dem ÖPNV-Tariflohn bezahlt werden, wie er für die Heag-Belegschaft gilt. Teilen Sie die Kritik?

Ginnuth: Zum einen geben viele Auftraggeber eine Bezahlung nach den örtlichen Tarifverträgen vor, und wo es die nicht gibt, bildet der gesetzliche Mindestlohn eine Untergrenze. Zum anderen haben wir ein sehr hohes Interesse daran, dass unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen gerne bei Clevershuttle arbeiten. Zufriedene Fahrer und Fahrerinnen sind bessere Fahrer und Fahrerinnen!

Aus unseren regelmäßigen Befragungen wissen wir, dass neben einer angemessenen Bezahlung dabei auch die Unterstützung durch unsere Tools für die tägliche Arbeit eine maßgebliche Rolle spielt. Transparenz und Verbindlichkeit der Aufträge und Arbeitszeiten spielt für die Fahrerzufriedenheit eine große Rolle.

NaNa-Brief: Das heißt Clevershuttle entwickelt weiterhin gewisse Software-Komponenten für den Linienbedarfsverkehr?

Ginnuth: In fünf Jahren als eigenwirtschaftlicher Betreiber hat Clevershuttle die gesamte Wertschöpfungskette abgebildet, unter anderem Software für Fahrgäste, Disposition und Fahrereinsatz entwickelt. Mit der strategischen Neuausrichtung im Sommer 2020 konzentrieren wir uns auf das Geschäft mit der öffentlichen Hand und dort auf die Herausforderungen im Betrieb. Das schließt weiterhin die Pflege und Entwicklung der erforderlichen IT und der Schnittstellen ein.

Ich behaupte mal, kein anderer Mitbewerber in Deutschland verfügt in diesem Punkt über eine ähnlich große Expertise wie wir. Immerhin haben wir Pooling in mehreren Städten organisiert, teilweise in einem großen Ausmaß. In Berlin beispielsweise haben wir mit 100 Fahrzeugen ein Gebiet von 300 Quadratkilometern versorgt, in Leipzig 60 Fahrzeuge eingesetzt.

NaNa-Brief: Wie groß ist Ihre Belegschaft heute?

Ginnuth: Derzeit etwa 75 Personen in unserem Berliner Büro. Mit Fahrern und Fahrerinnen, Betriebsleitern und Betriebsleiterinnen sowie Disponenten und Disponentinnen an den diversen Standorten sind es bei Clevershuttle inzwischen knapp 400 Köpfe.

NaNa-Brief: Was wird eigentlich aus dem eigenwirtschaftlichen Verkehr in Leipzig, der die strategische Neuausrichtung überdauert hat?

Ginnuth: Leipzig ist bisher unser erfolgreichster Standort, wo wir es geschafft haben, kostendeckend unterwegs zu sein. Das muss uns mal jemand nachmachen! Dann kam Corona und hat die Erfolgskurve geknickt. Das hat uns hart getroffen. Ziel ist es nun, die Leute aus ihren Autos zu bewegen und zurück zu geteilter Mobilität zu bringen. Das gehen wir mit unseren Partnern – in Leipzig gehört neben der DB und Mitsui auch die Verlagsgruppe Madsack mit der Leipziger Volkszeitung dazu – jetzt gemeinsam an.

NaNa-Brief: Da haben Bruttoverträge mit dem Aufgabenträger doch einen anderen Charme, oder?

Ginnuth: Leipzig ist nach wie vor ein Referenzprojekt. Wir haben dort in einem Betrieb rund um die Uhr an sieben Tagen die Woche unheimlich viel gelernt. Nicht zuletzt über das Mobilitätsverhalten der Menschen. Von diesem Wissen, diesem tiefen Einblick können alle Städte und alle Landkreise in Deutschland profitieren, auch wenn Sie ein gemeinwirtschaftliches Pooling aufbauen wollen. Ich glaube, in zehn Jahren wird es eine sehr breite Nachfrage nach solchen Lösungen geben.

Natürlich darf und will sich Clevershuttle auch in Bruttoverträgen nicht zurücklehnen. Wenn On-Demand- Ridepooling wirklich hochlaufen soll – und darauf ist unser Geschäftsmodell ausgerichtet –, müssen alle Beteiligten glücklich sein: zuvorderst die Fahrgäste, aber auch die die Verkehrs- und die Klimapolitiker, die Aufgabenträger, die Verkehrsunternehmen und ihre Auftragnehmer. Die passenden Ausschreibungen helfen dabei. (msa)

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Artikel Redaktion Bus&Bahn
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